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Erklärung R21-Expertenrat: Klimaschutzziele reformieren

Die EU-Kommission und die neue Bundesregierung haben ihre ehrgeizigen Klimaschutzziele bekräftigt: Die EU soll bis 2040 90% weniger Treibhausgase ausstoßen, Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Wie diese Ziele mit dem derzeitigen Instrumenten- und dem angestrebten Energiemix ohne massive wirtschaftliche Verwerfungen erreicht werden sollen, ist weiterhin unklar: Alles andere als eine Zielverfehlung wäre eine große Überraschung. Doch selbst wenn Deutschland und Europa die Ziele erreichen sollten, bleibt das Problem der Klimaerwärmung ungelöst.

Seit der Konferenz von Kyoto 1997 konnte weltweit der fossile Anteil am Endenergieverbrauch nur von 86% auf 79% reduziert werden. Das Jahr 2025 markiert den weltweiten „Peak Fossil“. Während Europa seit Kyoto seine Emissionen um rund 23 % senken konnte, sind die Emissionen Chinas um etwa das 3,3-Fache gestiegen. Heute tragen alleine China und die USA zusammen 43% zu den weltweiten Emissionen bei. Um das Paris-Ziel von 1,5 Grad zu erreichen, müssten in dem Zeitraum 2023 bis 2030 die jährlichen CO2 Emissionen um rund 16 Mrd. Tonnen auf 22 Mrd. Tonnen gesenkt werden. Diese Reduktion entspräche in etwa den jährlichen. Dies entspricht in etwa den jährlichen Emissionen Chinas (12,7 Mrd. Tonnen) und der USA (4,85 Mrd. Tonnen). Ein aussichtsloser Plan.

Vor diesen Zahlen zu kapitulieren ist keine Alternative – sie zu ignorieren allerdings mindestens fahrlässig. Die Staaten der EU können mit einem Anteil von nur 6,1% an den globalen Emissionen bei weitem nicht ausgleichen, was andere Länder nicht reduzieren oder zusätzlich emittieren. Um wirklich etwas für das Klima zu erreichen, ist ein radikales Umdenken erforderlich. Nicht einmal eine wirtschaftliche Selbstaufgabe Europas als Industriestandort würde einen Beitrag zur Minderung des globalen Treibhausgasausstoßes leisten, sondern die Probleme eher noch verstärken. Andere Länder würden die Produktion Europas mit mehr Treibhausgasemissionen übernehmen. Doch der deutsche und der europäische Reduktionspfad berücksichtigen weder das Verhalten des Rests der Welt, noch befindet sich der Rest der Welt auch nur ansatzweise auf dem Weg zu den international formulierten Zielen.

Auf einer zweitägigen Klausur hat der R21-Expertenrat für Klima und Energie deshalb Reformoptionen diskutiert. Unser Kerngedanke: Die europäischen Ziele brauchen eine reziproke Komponente. Heute gilt: Je weniger ambitioniert andere Länder vorgehen, desto mehr erhöhen wir unser eigenes Tempo – ein Mechanismus, der Trittbrettfahrer auf der Welt begünstigt und Emissionen in andere Teile der Welt verlagert, die Kosten für Bürger und Unternehmen steigert und uns von einer globalen Lösung für ein globales Problem entfernt.

Wir schlagen vor, diese Logik umzudrehen: Zieht die Welt mit, bleiben wir ambitioniert. Wenn im Rest der Welt die Emissionen hingegen nicht substantiell sinken, können wir unser Ambitionsniveau nicht halten. Wir müssen dann einen umso größeren Teil unserer Mittel von der Vermeidung von Emissionen in die Anpassung an den Klimawandel umlenken. Unsere Klimaschutzziele müssen sich entsprechend anpassen: Unter anderem schlagen wir vor, die Klimaschutzziele um eine reziproke, auf das Verhalten des Rests der Welt reagierende Komponente zu ergänzen und die bislang bedingungslosen Klimaschutzziele als konditionierte Ziele neu zu formulieren. Dies erhöht insgesamt die Glaubwürdigkeit der hiesigen Politik gegenüber der übrigen Welt.

Halten wir stur am aktuellen Kurs fest, zahlt Europa doppelt – für eine ineffektive Klimapolitik und für die Folgeschäden der Erwärmung. Reziprozität setzt den nötigen Anreiz, auch außerhalb Europas ambitionierte Klimaschutzpfade einzuschlagen. Nur mit ihr können wir sowohl die globale Erwärmung begrenzen als auch unseren Wohlstand sichern.

In den kommenden Wochen konkretisiert der Expertenrat seine Reformvorschläge und stellt sie am 17. September in Berlin vor.

Mehr zum R21-Expertenrat für Klima und Energie finden Sie hier.

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