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Foto: Wunderstock

Antisemitismus: Wir verstecken uns hinter Scheindebatten

Für R21-Gründungsmitglied Ahmad Mansour zeigt die nicht abreißende Kette antisemitischer Ereignisse, dass der bisherige Kampf gegen den Judenhass gescheitert ist.

„Hätten wir halb so viel Energie investiert, Antisemitismus in seinen Ursprüngen zu verstehen und zu analysieren, anstatt der Frage nachzugehen, wie man Israelkritik politisch korrekt betreiben kann, wären wir heute vielleicht sehr viel weiter, sagt der Psychologe und Radikalismus-Experte in einem Gastbeitrag für Focus.

Denn die Besessenheit, die Doppelmoral, mit der wir den jüdischen Staat wahrnehmen, betrachten und bewerten, sei einer der Gründe für die Erstarkung des Antisemitismus. So habe “Israelkritik“ in den Duden Eingang gefunden, Begriffe wie „Kanadakritisch“, „USAkritisch“ oder „Chinakritisch“ suche man vergebens.

Defizite in der Forschung

Ahmad Mansour sieht klare Defizite auch in der Forschung: „Teilweise linksradikale Forscher die Singularität des Holocausts in Frage, setzen die Verbrechen der Nazis mit Kolonialismus gleich, oder vergleichen Antisemitismus mit Rassismus. Oder ignorieren die Realität und tun Angriffe auf Juden als legitime Israelkritik ab.“

Forscher solidarisieren sich mit den Tätern wegen ihres Flucht- oder Migrationshintergrundes anstatt mit den Opfern. Es werde relativiert, verharmlost, verdrängt, ignoriert und in manchen Kreisen alles getan, um das Problem klein zu reden.

„Hätten wir mehr investiert, muslimischen, rechtsradikalen, türkisch-nationalistischen, linksradikalen Antisemitismus zu erkennen, mit allen möglichen rechtstaatlichen Mitteln zu bekämpfen und ihm die rote Linie gezeigt, hätten wir heute wahrscheinlich weniger Antisemitismus in der Gesellschaft.“

Moralische Selbstbespiegelung statt echter Gegenwehr

Mansour bescheinigt den bisherigen politischen Maßnahmen gegen Judenhass Halbherzigkeit. „Es sind allenfalls Schilder zur Umfahrung des Eisbergs aufgestellt: Hier mehr Objektschutz, da die Verschärfung eines Gesetzes, ab und an mehr Geld für Respekt-Projekte.“ Im Grunde gehe es darum, die eigene moralische Fassade aufrecht zu erhalten und zu zeigen, dass man ja aus der Geschichte gelernt hat.“

Mansours Fazit: „Wenn wir wirklich konsequent sein und den Kampf gegen Antisemitismus ernst nehmen wollen, brauchen wir eine zeitgemäße Vermittlung von Erinnerungskultur, die Jugendliche aller Kulturen mit einbezieht. Wir brauchen eine bessere Erforschung des Phänomens und eine härtere Bestrafung von Vergehen.“

Die Erkenntnis der historischen Verantwortung Deutschlands werde so erst richtig zu vermitteln sein – auch in Bezug auf das Existenzrecht Israels. „Wir brauchen digitale Sozialarbeit in sozialen Medien, wir brauchen Gegenerzählungen, um Verschwörungstheorien, Fake News und gar Hass im Keim zu ersticken.“

Der Gastbeitrag in Focus >

Ahmad Mansour

Ahmad Mansour ist gebürtig arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und derzeit bundesweit als Experte für Extremismusbekämpfung nachgefragt. 2017 gründete Mansour „Mind Prevention", die Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, und hat dort die Geschäftsführung inne. Ahmad Mansour erstellt zudem Gutachten für Gerichte und ist ein gefragter Redner bei Verbänden, Unternehmen und Akteuren der Zivilgesellschaft. Auch als Autor zahlreicher Bücher und Gastbeiträge ist er bekannt. Für seine Arbeit und sein gesellschaftliches Engagement wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz, dem Carl-von-Ossietzky-Preis, dem Theodor-Lessing-Preis sowie dem Menschenrechtspreis 2019 der Gerhart und Renate Baum-Stiftung.

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