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Die Zukunft der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik

Integration und Subsidiarität

Neben dem transatlantischen Bündnis ist die Europäische Union für die Bundesrepublik Deutschland der entscheidende Handlungsrahmen, in dem sie international wirkungsvoll agieren kann. In vielen wesentlichen Bereichen ist die Europäische Union bisher jedoch nicht hinreichend strategiefähig. Das macht es umso wichtiger, dass ihre führenden Mitgliedsländer einen auf die Zukunft der Union bezogenen, politischen Gestaltungswillen aufbringen. Darüber hinaus verstärkt die Herausforderung des Westens durch Großmachtambitionen Chinas sowie durch autoritäre Regime wie in Russland und der Türkei die Notwendigkeit, ihren politischen Zusammenhalt nach innen und außen zu stärken, sozialen Ausgleich zu wahren und wirtschaftliche Dynamik zu steigern.

Dem Euro als einer der weltweit bedeutendsten Währungen kommt hierbei eine essentielle Rolle zu. Neben der europäischen Handelspolitik gibt er der Europäischen Union globales Gewicht. Seine Stabilität ist aber auch eine elementare Voraussetzung dafür, dass die Mitgliedsländer des europäischen Binnenmarktes wirtschaftlich prosperieren und politisch zusammenwirken.

Die Finanzarchitektur des Eurosystems ist unfertig – der europäische Wirtschaftsraum wird durch NextGenEU weder hinreichend dynamisiert noch reformiert

Der Euro ist seit seiner Einführung ein großer Erfolg am Kapitalmarkt. Aber trotz der Reformen des letzten Jahrzehnts ist die Architektur der Währungsunion unfertig, und die mit ihr verbundenen Konvergenzerwartungen unter den Mitgliedsländern haben sich nicht erfüllt – stattdessen ist das Gegenteil eingetreten.

Neue Institutionen wie der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, gemeinsame Aufsichts- und Abwicklungsstrukturen im Rahmen der Bankenunion, aber auch die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank dokumentieren den festen Willen zum Zusammenhalt der Mitgliedsländer der Europäischen Union und haben den Währungsraum wirksam stabilisiert. Allerdings beruht das Kapitalmarktvertrauen in den Euro zu sehr auf der Annahme des Einsatzes der Ressourcen der Europäischen Zentralbank, dauerhaft niedriger Zinsen sowie der fortgesetzten Unterstützung durch die wirtschaftlich erfolgreichen Länder der Währungsunion.

Die EU-Mitgliedstaaten werden an den Kapitalmärkten zunehmend als Emittenten wahrgenommen, die implizit durch einen über die EZB und den EU-Haushalt organisierten Haftungsverbund abgesichert sind, wobei für ein Kernmitgliedsland wie Italien der Zustand der faktischen „fiscal dominance“, also der Abhängigkeit der Geldpolitik von der Fiskalsituation, weithin als gegeben angenommen wird.

Der im Rahmen des Projekts „Next Generation EU“ (NextGenEU) aufgesetzte European Recovery Fund ist eine Reaktion auf die durch die Covid-Krise noch dramatisch verschärften wirtschaftlichen Asymmetrien innerhalb der EU. Er hat für Vertrauen an den Märkten gesorgt, und mit seiner Ausrichtung kann man von ihm auch einen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung und Modernisierung der Volkswirtschaften der EU erwarten.

So beruht er auf durch die Mitgliedsländer selbst ausgearbeiteten Plänen, und die Bindung an Strukturreformen hat nicht zuletzt in Italien unter Ministerpräsident Draghi einen breit angelegten Reformprozess ausgelöst. Andererseits sind viele der durch die Mitgliedsländer vorgelegten Pläne nicht neu und mit ihnen verbundene Reformzusagen unsicher. Darüber hinaus werden ausschließlich nationale Projekte finanziert, nicht aber genuine „europäische Güter“ geschaffen, sieht man von den positiven Effekten ab, die erfolgreiche nationale Maßnahmen gegen den Klimawandel für den gesamten Kontinent haben können. Es ist insofern offen, inwieweit NGEU einen Beitrag zur wirtschaftlichen Dynamisierung Europas darstellt und damit auch eine Antwort auf die durch die Krise signifikant angestiegenen Schuldenlevels innerhalb der Europäischen Union gibt.

Die vor dem Hintergrund einer offenen Erfolgsbeurteilung verfrühte Diskussion um die Verstetigung von NextGenEU im Sinne einer sog. „Fiskalkapazität“ für die Europäische Union beinhaltet das Risiko, dass mangels eines originären Reformkonzeptes die ad hoc von Frankreich und Deutschland gegebene Antwort auf die Covid-Krise mittelfristig zu einer Transferunion mutiert.

Neue Wege in der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik

Eine Zentralisierung der Fiskalpolitik mit bundesstaatlichen Instrumenten, wie sie vielfach gefordert wird, setzt eine glaubwürdige Perspektive für eine europäische politische Union voraus, die auf absehbare Zeit nicht gegeben ist. Die schleichende Entwicklung zu einer Transferunion würde politische Fliehkräfte auslösen und die Union langfristig wirtschaftlich und politisch schwächen.

Risikoteilung wird zumeist verengt daran gemessen, inwieweit Finanzrisiken durch Mitgliedsländer gemeinsam getragen werden. Gerade in einem Staatenverbund kommt jedoch der Entflechtung und Diversifizierung von Finanzrisiken sowie deren Verteilung auch auf private wirtschaftliche Akteure eine entscheidende Rolle zu. Sie sorgen für einen ergänzenden Risikoausgleich, der es überdies erlaubt, die Sozialisierung von Risiken unter Steuerzahlern durch Beteiligung von Kapitalanlegern wirksam zu begrenzen – ein wesentliches Ziel, das mit im Zentrum der durch die G20 2008 angeschobenen Reformen der Finanz- und Bankenmärkte steht.

Deutschlands wirtschaftliches Gewicht und seine politische Verantwortung sind die einer europäischen Führungsmacht – eine Aufgabe, die sich weder zurückweisen lässt noch kostenlos wahrzunehmen ist. Der mit Frankreich ins Werk gesetzte europäische Recovery Fund ist Ausdruck davon. Was von der Krise getrieben war, gibt aber noch keine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Es ist höchste Zeit, für diese ein tragfähiges Konzept auszuarbeiten, in dessen Kern eine institutionelle Weiterentwicklung der Europäischen Währungsunion, ein Maastricht 3.0, stehen muss.

Deutschland, Frankreich und Italien tragen wesentlich Verantwortung dafür, dass sich Europa in der dritten Dekade des neuen Jahrhunderts nicht erst dann seinen Aufgaben stellt, wenn eine nächste Krise zum Handeln zwingt.

Die Überlegungen des Autors haben Eingang in das Magazin “Cicero” gefunden.

Martin Wiesmann

Martin Wiesmann sitzt dem Beirat von R21 vor. Nach politik- und betriebswissenschaftlichen Studien in Bonn, Paris und Pittsburgh war er 30 Jahre in der Finanzindustrie tätig, zuletzt als Vice Chairman Investment Banking Europe, Middle East and Africa von J.P. Morgan. Seit 2020 war er u. a. Senior Associate Fellow der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) für Geoökonomie und arbeitet heute als Managing Partner bei der geopolitischen Beratungsgesellschaft Berlin Global Advisors. Wiesmann ist Aufsichtsrat der LEG Immobilien SE, Düsseldorf, sowie u. a. Mitglied der Atlantik-Brücke und der Baden-Badener Unternehmer Gespräche. Neben langjährigem Engagement in der Elternarbeit ist er zudem in den Kuratorien des Literaturhauses, des Städelmuseums und der Schirn in Frankfurt sowie der Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt aktiv.

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