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“Gramsci des Monats” (2): Teilhabe

„Teilhabe“ klingt gut. Man kennt den Begriff aus der Sozialpolitik oder den Sozialwissenschaften. Er kommt vor allem im Zusammenhang mit der Situation behinderter Menschen zum Einsatz, denen der Zugang zur Arbeitswelt und zum gesellschaftlichen Leben erschwert ist. So zielt beispielsweise das “Bundesteilhabegesetz” von 2016 darauf ab, die UN-Behindertenrechtskonvention ins deutsche Recht umzusetzen. Das “Teilhabestärkungsgesetz” von 2021 knüpft daran an und möchte Behinderten Alltag und Arbeitsleben weiter erleichtern.

In den letzten Jahren ist die “Teilhabe” auch in die Integrationspolitik eingezogen. Fiel der Begriff im 400 Seiten starken 8. Integrationsbericht der Bundesregierung von 2010 nur 31 mal, so findet er sich im 12. Integrationsbericht (390 Seiten) neun Jahre später dagegen an 225 Stellen. Der im Januar 2021 veröffentlichte Abschlussbericht der Regierungsfachkommission zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit kommt mit 175 Nennungen auf 280 Seiten auf eine noch größere Dichte. Und er macht den Begriff zur zentralen Kategorie in der Integrationspolitik. Integration wird als „Teilhabe, Repräsentanz und Anerkennung“ definiert – und damit zu einem Anrecht des Einzelnen gegenüber Staat und Gesellschaft aufgeladen. Das integrationspolitische “Fördern und Fordern” scheint dadurch obsolet.

Teilhabe ist Trumpf

Mit diesem Paradigmenwechsel sind die Autoren des Berichts nicht allein. Auch migrantische Lobbyverbände wie die „neuen deutschen Organisationen“ oder „DeutschPlus“ fordern „Teilhabe” ein und definieren den Begriff als alleinige Bringschuld der einheimischen Gesellschaft.  Probleme der Integration wie Gewalt im Namen der Ehre oder islamischer Extremismus werden systematisch ausgeblendet und teilweise sogar als Folge eines so genannten strukturellen Rassismus der Mehrheitsgesellschaft zur Last gelegt.

Ganz klar: Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben einer Gesellschaft. Aber dies bedeutet nicht, dass es keine Anforderungen dafür gibt. Diese sind die Akzeptanz der Normen und Werte des Landes, in das man einwandert, sowie die eigenständige Integration in das Gemeinwesen.

Viele Deutsche mit Migrationshintergrund haben erfolgreich Anteil

Für viele Menschen ist dies längst Realität. Menschen wie die Biontech-Impfstoff-Erfinder Ugur Sahin und Özlem Tureci, Journalisten wie Giovanni di Lorenzo oder Dunja Hayali müssen nicht „integriert“ werden. Sie nehmen als deutsche Staatsbürger in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland teil. Viele Bürger unseres Landes stammen aus Familien, die vor Generationen eingewandert sind. Lediglich ihr Nachname verweist noch auf eine Einwanderungsgeschichte. Ex-Bundesminister Thomas de Maizière stammt aus einer hugenottischen Familie, und der typische Ruhrgebietsname von “Tatort”-Legende Horst Schimanski lässt vermuten, dass Vorfahren aus Polen ins Ruhrgebiet gewandert sind, um dort in der Kohle- und Stahlindustrie zu arbeiten und sich eine neue Existenz aufzubauen. Kaum einer kennt den Migrationshintergrund des CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak oder von Tennis-Größen wie Andrea Petković oder Alexander Zverev – und macht sich darüber Gedanken.

Eine pauschale Forderung von “Teilhabe” ignoriert bewusst den jeweiligen aufenthaltsrechtlichen Status von Migranten und deren unterschiedliche Ausgangsbedingungen für Teilhabe. Dabei ist die Bleibeperspektive nicht unerheblich, schließlich geht es auch um den Einsatz von Integrations- und Teilhabeanstrengungen des Staates, die sinnvoll zu gestalten sind. Zudem ist erfolgreiche Einwanderung kein Selbstläufer: Für den Bürger aus der Europäischen Union ist der Weg in vielfacher Hinsicht weniger weit als etwa für Zuwanderer, die aus dem Nahen Osten oder Subsahara-Afrika ab 2015 oft ohne Sprachkenntnisse, Bildungsdiplom und kulturell fest verankert in nichtwestlichen Traditionen nach Deutschland kommen.

Bei grundlegenden Werten geht Teilhabe nicht ohne Assimilation

Teilhabe an der Gemeinschaft setzt Integration und ein Bemühen aller Beteiligten voraus. Einerseits müssen Staat und Gesellschaft z. B. für ein ausreichendes Angebot an Sprach- und Orientierungskursen sorgen, die städtebaulichen Voraussetzungen für gemischte Wohnquartiere schaffen, Zugänge zu Ausbildung und Arbeitsmarkt erleichtern.

Andererseits ist jedes neue Mitglied der Gesellschaft gefordert, selbst aktiv Integrationsleistungen zu erbringen, die deutsche Sprache zu erlernen, Bildungsabschlüsse zu erwerben, sich über Kultur und Recht zu informieren und die hiesigen Gepflogenheiten zu akzeptieren. Auf dieser grundlegenden Ebene bedeutet Integration nichts anderes als Anpassung oder Angleichung an die neue Gesellschaft und Kultur, ohne deswegen die eigene Identität ablegen zu müssen.

Wie wenig unsere Gesellschaft bereit war, dieses erforderliche Minimum an Anpassung einzufordern, kommt darin zum Ausdruck, dass der Begriff der „Assimilation“ (zu deutsch: Angleichung) mittlerweile aus der öffentlichen Debatte verschwunden ist – ja gezielt diskreditiert wurde. Noch 2008 kritisierte z. B. der Migrationsforscher Stefan Luft in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass Assimilation als „Zwang“ verunglimpft werde. Und 2014 erschien auf Deutsch das flammende Plädoyer des Oxforder Migrationsexperten Paul Collier für Assimilation von Einwanderern. Stefan Luft etwa nannte gute Gründe, warum es wichtig ist, vor allem die Identifikation mit ethnischen Gruppen oder Clanen aufzugeben und sich mit einer normativen Ordnung anzufreunden, die die Freiheitsrechte des Individuums in den Mittelpunkt stellt: Als Bürger sind in unserer Gesellschaft alle Menschen gleich an Würde und an Rechten. Ihnen stehen damit gleiche Teilhaberechte zu.

Wer neuerdings von Teilhabe spricht, meint allerdings nicht die Gleichberechtigung aller Bürger, sondern fordert Sonderrechte ein, die gegen die Gleichheit gerichtet sind. Der Mensch wird nur noch als Teil einer identitären Gruppe verstanden, die für ihre eigenen Vorteile gegen den Rest der Gesellschaft kämpft. Das aber spaltet und bringt das Gegenteil von gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Redaktion

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