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Foto: Denkfabrik R21

Kinderarmut und Sozialpolitik

Steuerung der Zuwanderung und Förderung von Eigenverantwortung statt Ausweitung des Fürsorgestaates

12 Milliarden forderte die Bundesfamilienministerin Lisa Paus von der Partei Bündnis 90/Die Grünen für ihr Lieblingsprojekt, die sogenannte Kindergrundsicherung. Weil Christian Linder ihr in seiner Rolle als Bundesfinanzminister bedeutend weniger Mittel zugestehen wollte, blockierte sie zunächst das von ihm vorgelegte Wachstumschancengesetz. Schließlich erzielte die Ampel einen Kompromiss. 2,4 Mrd. sollen zukünftig in die Kindergrundsicherung fließen, darunter 500 Millionen für den erhöhten Verwaltungsaufwand. Warum es diese Mittel, zusätzlich zu den bereits bestehenden Unterstützungen armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher, überhaupt braucht, begründete Paus mit einer angeblich steigenden Kinderarmut in Deutschland. Sie sprach sogar von einem Versagen des Sozialstaates.

Hier sind einige Fragen angebracht. Was genau meint die Ministerin, wenn sie von Kinderarmut in Deutschland spricht? Wer ist eigentlich arm? Und ist die Zuweisung erhöhter finanzieller Mittel an prekär lebende Familien tatsächlich der richtige Weg, um diese aus der Armut herauszuführen?

Problematisch ist bereits die Definition von Armut. Sie gilt dann als gegeben, wenn jemand nur über 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügt. Dabei wird nicht unterschieden, ob eine mittellose Rentnerin ihre Nahrungsmittel rationieren muss oder ob ein Jugendlicher keine Arbeit annimmt, weil sein Leben mit neustem Handy und Unterhaltungselektronik ohnehin gesichert ist. Im globalen Maßstab muss die hierzulande geltende Definition geradezu als skurril angesehen werden, da ein durchschnittlicher deutscher Transferempfänger gewöhnlich komfortabler lebt, als ein Lehrer in vielen Ländern des globalen Südens. Dieser Pull-Faktor der gegenwärtigen Massenmigration, mit dem Schlepper offensiv werben, wird übrigens in der Migrationsdebatte hartnäckig ausgeblendet.

Die zweite Frage lautet, um wen es sich bei den Armen handelt. Der Prozentsatz der armutsgefährdeten Kinder ging, sofern diese in Deutschland geborene Eltern (mit und ohne Migrationsgeschichte) haben, seit 2020 von 10,5% auf 8,3% zurück. Die Anzahl der Kinder dieser Gruppe, die Transferleistungen beziehen, ist seit 2015 sogar um ein Drittel gesunken. Eigentlich müsste das als grandioser Erfolg verbucht werden. Dass Kinderarmut dennoch gleichbleibend hoch ist, liegt daran, dass die Quote der gefährdeten Kinder mit im Ausland geborenen Eltern sich seit 2020 konstant zwischen 24% und 25% bewegt. 900.000 ausländische Kinder und Jugendliche beziehen zurzeit Bürgergeld, darunter sind mehr als eine halbe Million Minderjähriger aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und dem Irak, die seit 2015 aufgenommen wurden. Die Armut der in Deutschland lebenden Kinder ist also unverkennbar eine Folge der Migration von Menschen aus den Kriegs- und Armutsgebieten dieser Welt. Als Lindner auf diesen Zusammenhang hinwies, folgte erwartungsgemäß ein Sturm der Empörung. Wer soziale Missstände mit einer fehlgeleiteten Migrationspolitik in Verbindung bringt, stört den bis in Teile der CDU hinein gepflegten Mythos, Migration sei ausschließlich ein Segen für Deutschland und die Aufnahme weiterer Zuwanderer problemlos zu bewältigen.

Dass dies mitnichten der Fall ist, zeigt die von Landräten und Bürgermeistern beklagte Überlastung der Kommunen, die armutsgefährdete Menschen besonders betrifft. Bezahlbarer Wohnraum ist durch die jüngste Migrationswelle zur Mangelware geworden – auch für Einheimische. Wenn wir uns den gestiegenen Bedarf anschauen, besteht daran kein Zweifel. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes migrierten 2.67 Millionen Menschen im Jahr 2022 nach Deutschland, darunter mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine. Auch aus Asien und Afrika machten sich verstärkt Menschen auf den Weg nach Deutschland. Zwischen Januar und Juli 2023 stieg die Anzahl der Asylanträge um 67 % gegenüber dem Vorjahr. Die Erstanträge wuchsen sogar um 78%, wobei die ukrainischen Flüchtlinge nicht berücksichtigt wurden. Wir können daher eine zunehmende Zahl von Zuwanderern verzeichnen, die eine Wohnung benötigen. Die gewünschten Unterkünfte existieren jedoch nicht. Im Jahr 2022 wurden nur knapp 300.000 neue Wohnungen gebaut – insgesamt fehlen zurzeit mindestens 700.000 Wohnungen. Es ist das größte Defizit seit 20 Jahren. Beheben lässt sich dieser Mangel auf absehbare Zeit nicht, weil die Bauwirtschaft aufgrund von Lieferengpässen, Personalmangel und bürokratischen Regularien stagniert. Wohnraum ist ein umkämpftes Gut geworden. Im Ergebnis steigen die Mieten und der Konkurrenzkampf um günstige Wohnungen wird befeuert.

Unübersehbare Probleme existieren auch in den Verwaltungen, die für die Erfassung der Zugewanderten, deren Unterbringung, Versorgung und die Bearbeitung von Anträgen zuständig sind. Viele Mitarbeiter kommunaler Einrichtungen sind am Limit und fühlen sich ausgebrannt, der Krankenstand ist hoch. Das Frankfurter Ausländeramt, das mit der Vergabe von Ausweispapieren befasst ist, schiebt gegenwärtig 20.000 unbearbeitete Anträge vor sich her. Unlängst war die Behörde sogar mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde der Commerzbank konfrontiert, die einen Mitarbeiter freistellen musste, weil das Amt dessen Visaverlängerung acht Monate lang verzögerte. Solche Missstände sorgen dafür, dass Zuwanderer nicht in den Arbeitsmarkt und damit heraus aus der Armut gelangen. Zudem schrecken sie auch die händeringend gesuchten Fachkräfte ab, die Deutschland wegen der schwer zu erlernenden Sprache und der hohen Abgaben ohnehin nicht als priorisiertes Ziel ansteuern.

Die Hauptursache für Armut in Deutschland sind Armutsflüchtlinge, die in ihrer Mehrheit keine Qualifikationen mitbringen und bildungsfern aufgewachsen sind. Der Umstand, dass kaum jemand in sein Heimatland zurückgeführt wird sowie die großzügige staatliche Alimentierung machen Deutschland zum Traumziel für diese Zuwanderer. Knapp 300.000 Menschen sind zurzeit ausreisepflichtig, 587.000 erwerbsfähige Zuwanderer aus Syrien, Afghanistan und dem Irak beziehen Bürgergeld. Erwerbsfähig sind Menschen, die arbeiten dürfen und nicht durch Schule, Ausbildung oder andere Maßnahmen an der Übernahme einer Tätigkeit gehindert werden. Sie könnten, nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit, sofort eine Arbeitsstelle annehmen. In der Regel kommen zwar nur einfache Tätigkeiten infrage, da 87% von ihnen keinen Beruf erlernt haben, doch dies sollte kein Hindernis darstellen. In Deutschland fehlen nicht nur Ärzte und Ingenieure, sondern auch Menschen, die Gepäckbänder am Flughafen bedienen, in Restaurants die Tische abwischen oder sich um die Sauberkeit im öffentlichen Raum kümmern. Dass wir einerseits einen Mangel an Arbeitskräften haben, andererseits jedoch arbeitsfähige Menschen für ihre Untätigkeit alimentieren, macht daher keinen Sinn. Wenn Landräte oder Politiker von CDU und CSU eine Arbeitspflicht für Zuwanderer fordern, dann ist dies der richtige Weg, die Misere zum Wohle aller zu beenden. Die Migranten würden in einen geregelten Tagesablauf hineinwachsen, könnten über ihre Tätigkeiten erste Schritte in Richtung Integration gehen und Sprachkenntnisse erwerben. Ihre wirtschaftliche Lage würde sich verbessern und damit auch die Situation ihrer Kinder. Wenn Lisa Paus es mit ihrer Sorge um armutsgefährdeter Kinder ernst meinen würde, dann wäre die Förderung der Erwerbstätigkeit der Eltern der beste Weg.

Betont werden muss an dieser Stelle allerdings, dass es nicht nur Migranten sind, die arbeiten könnten und es dennoch vorziehen, staatliche Transferleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Zahl der Arbeitslosen beträgt zurzeit 2,6 Millionen, die der Unterbeschäftigten wird für Juni 2023 von der Bundesagentur für Arbeit mit 3,5 Millionen angegeben. Demgegenüber stehen etwa 2 Millionen offene Stellen. Insgesamt bezogen 2023 etwas 3,9 Millionen erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Für diese Gruppe sind für das Jahr 2024 im Bundeshaushalt 24,3 Milliarden Euro vorgesehen. In Zeiten knapper Kassen ist das ein stattlicher Betrag, der durch Steuereinnahmen finanziert werden muss.

Damit sind wir bei einem weiteren Problem. Deutsche Bürger tragen die zweithöchste Abgabenlast aller Industriestaaten, und dies gilt auch für Erwerbstätige mit mittleren und niedrigen Einkommen. Im Mittel betragen die Abzüge bei Familien mit Kindern 40 %, bei Alleinstehenden sind es sogar 50%. Solche Zustände produzieren Anreize, nicht zu arbeiten, insbesondere bei Eltern mehrerer Kinder, die recht üppige Transferleistungen erhalten, wenn sie erwerbslos sind. Erwerbstätige Eltern bis in den Mittelstand hinein sind Arbeitslosen gegenüber in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Sie müssen sich mit hohen Kosten für Kinderbetreuungen herumschlagen, die bei Arbeitslosen übernommen werden, sie sind auf die immer unzuverlässiger werdenden Öffnungszeiten von Kitas angewiesen, und ihre Kinder erhalten keine Zuschüsse zu Klassenfahrten und Freizeitangeboten. Aufgrund der unsicheren Betreuungszeiten (wiederum durch Personalknappheit, Überlastung und einen hohen Krankenstand verursacht) ist das Leben arbeitender Eltern durch eine Vielzahl von Stressmomenten gekennzeichnet, die Arbeitslose nicht kennen. In Fällen, in denen der Unterschied der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel bei Arbeitenden und Nichtarbeitenden nur minimal ist, sind Entscheidungen gegen ein Arbeitsverhältnis daher fast ein Gebot der Klugheit.

Wenn Carsten Linnemann eine Überarbeitung des Konzepts Bürgergeld fordert, ist ihm daher absolut Recht zu geben. Wer arbeiten kann, sollte arbeiten und nicht staatlich alimentiert werden – aber Arbeit sollte sich auch lohnen. Das gilt für Einheimische ebenso wie für Zuwanderer. Die Ausweitung des Wohlfahrtsstaates, in dem Erwerbslosigkeit gefördert und Erwerbstätigkeit durch immer höhere Abgaben unattraktiv gemacht wird, behebt weder die Armutsgefährdung von Kindern noch den Arbeitskräftemangel, unter dem Gesellschaft und Wirtschaft leiden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Kapazitäten des Staates und der Gesellschaft zur Behebung von Missständen endlich sind. Eine unregulierte Einwanderungspolitik, wie sie gegenwärtig vom Bund und den Ländern praktiziert wird, führt unweigerlich zu mehr Armut und bringt alle Institutionen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Sozial-, Bildungs- und Einwanderungspolitik müssen miteinander abgestimmt werden. Ziel sollte dabei sein, die Zuwanderung unqualifizierter Menschen zu begrenzen und die Eigenverantwortlichkeit aller in Deutschland lebenden Menschen zu stärken.

Susanne Schröter

Susanne Schröter ist Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Vorstandsmitglied des „Deutschen Orient-Instituts“ und Senatsmitglied der „Deutschen Nationalstiftung“. Sie ist im wissenschaftlichen Beirat der „Bundeszentrale für politische Bildung“ sowie im Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischem Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam). Des Weiteren ist sie Mitglied der „Hessischen Integrationskonferenz“, des „Dialog Forum Islam Hessen“, des „Hessischen Präventionsnetzwerk gegen Salafismus“ und der „Polytechnischen Gesellschaft“. Im November 2014 gründete sie das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ (FFGI) und ist seitdem Direktorin der Einrichtung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Islamismus und Dschihadismus; progressiver und liberaler Islam; Frauenbewegungen in der islamischen Welt; Konstruktionen von Gender und Sexualität; Säkularismus und Religion; Flüchtlinge und Integration; politische, religiöse und ethnische Konflikte.

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