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Hagen in China: „Wir müssen uns behaupten“

„Europa muss aufpassen, dass es nicht den Anschluss verliert“, sagt Martin Hagen. Im Interview berichtet der R21-Geschäftsführer von seiner Reise nach China und empfiehlt einen pragmatischen Umgang mit der autoritär regierten Großmacht.

Du warst letzte Woche in Chengdu, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan. Was hast Du dort gemacht?

Ich war zum Kongress „Employment Challenges and New Opportunities in the Era of AI“ eingeladen, um dort junge Chinesen für eine Ausbildung in Deutschland zu begeistern. China hat trotz des anhaltenden Wirtschaftswachstums eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 20 Prozent – und deutsche Betriebe nach wie vor Bedarf an Fachkräften.

Welchen Eindruck hattest Du von dem Land?

Die Entwicklung Chinas vom Dritte-Welt-Land zur globalen Wirtschaftsmacht ist beeindruckend. Wenn man an den modernen Wolkenkratzern vorbeifährt, die das Stadtbild prägen, bekommt man einen Eindruck davon. Der Kapitalismus wirkt. Vor den Reformen Deng Xiaopings war das Land rückständig und bettelarm. Inzwischen gibt es eine breite, konsumfreudige Mittelschicht. Das Land investiert massiv in Robotik und KI. Die Digitalisierung hat den Alltag in China viel tiefer durchdrungen als bei uns. Europa muss angesichts dieser Dynamik aufpassen, dass es nicht den Anschluss verliert.

Steht das denn wirklich zu befürchten?

Ich mache es mal an einer persönlichen Anekdote fest: Als kommunaler Mandatsträger in einer Münchner Umlandgemeinde war ich vorletzte Woche mit dem Bau einer Sportanlage befasst. Das Vorhaben kann nicht wie geplant realisiert werden. Warum? Weil auf dem Grundstück eine Haselmaus gesichtet wurde. Drei Tage später fliege ich nach China und sehe, wie dort innerhalb kürzester Zeit neue Geschäftsviertel und Industriezentren entstehen. Was glaubst Du, wie die Chinesen gucken, wenn man ihnen von unserer Haselmaus erzählt? Oder von unseren Debatten über Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche? Von der deutschen Energiepolitik ganz zu schweigen. Wir müssen in Deutschland begreifen, dass unser Wohlstand nicht in Stein gemeißelt ist. Die Konkurrenz schläft nicht.

Hat Deutschland China überhaupt noch irgendetwas voraus?

Ja. Zum Beispiel lernen chinesische Schüler zwar sehr viel, aber hauptsächlich auswendig. In der Fähigkeit zu eigenständigem und kreativem Denken sind wir den Chinesen voraus. Solche Stärken müssen wir kultivieren und gleichzeitig an unseren Defiziten arbeiten.

Der offensichtlichste Unterscheid ist doch: Deutschland ist eine Demokratie, China ein autoritär regierter Einparteienstaat.

Stimmt. Wobei Umfragen nahelegen, dass die große Mehrheit der Chinesen mit ihrem politischen System zufrieden ist. China hat keine demokratische Tradition, es gibt dort auch nicht die Kultur des Individualismus wie in westlichen Gesellschaften. Letztlich lautet der Deal dort: Das Volk steht loyal zur Führung und diese sorgt im Gegenzug für Wohlstand, Stabilität und Sicherheit.

Wie sollte sich die deutsche Bundesregierung gegenüber China verhalten?

Selbstbewusst, aber nicht überheblich. Annalena Baerbocks Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers ist nichts, was man fortführen sollte. Die chinesische Führung öffentlich zu brüskieren mag einem bei den eigenen Wählern zuhause Applaus einbringen, die Position Deutschlands in der Welt stärkt man so aber nicht. China ist für uns Partner, Wettbewerber und Systemrivale zugleich. Die Partnerschaft lohnt es sich zu pflegen – auf Augenhöhe, ohne Blauäugigkeit und durchaus robust bei der Durchsetzung unserer Interessen.

Wie steht es um die wirtschaftlichen Beziehungen?

Ich halte nichts davon, sich von Donald Trump in einen Handelskrieg mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hineinziehen zu lassen. Im Gegenteil: Je stärker die USA sich abschotten, was ich als Transatlantiker übrigens sehr bedauere, desto mehr ist unsere exportorientierte Wirtschaft auf Märkte in anderen Erdteilen angewiesen. Wir sollten aber zwei Dinge beachten: Erstens gilt es, zu starke Abhängigkeiten zu vermeiden. Und zweitens müssen wir gegenüber China auf faire Spielregeln pochen. Das betrifft zum Beispiel einseitige Marktzugangsbeschränkungen oder wettbewerbsverzerrende Subventionen.

Und was ist mit der Systemrivalität?

Wir müssen uns behaupten. Das wird nicht gelingen, indem wir die Chinesen über Demokratie belehren. Vielmehr müssen wir selbst unsere Hausaufgaben machen, müssen die Überlegenheit unseres Systems in der Praxis unter Beweis stellen. Demokratische Regierungen müssen zeigen, dass sie imstande sind, Probleme zu lösen und erfolgreich die Zukunft zu gestalten. Der Westen muss sich auf seine Stärken besinnen: Die offene, pluralistische Gesellschaft, die geistige Freiheit, die Kraft des Individuums. Auch die Fähigkeit zu Selbstkritik und Selbstkorrektur. Bürgerliche Tugenden wie Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung, die von links diffamiert wurden, müssen wir rehabilitieren. Und statt German Angst brauchen wir wieder mehr Innovationsfreude und Fortschrittsoptimismus. Wenn das gelingt, ist mir nicht Bange.

Author

  • Martin Hagen

    Martin Hagen ist Geschäftsführer der Denkfabrik R21, Landesvorsitzender der bayerischen FDP und Gemeinderat in Vaterstetten. Er wurde 1981 in La Spezia (Italien) geboren, wuchs im Landkreis Rosenheim auf und studierte in München Politikwissenschaft. Danach war er unter anderem als Pressesprecher, Hauptgeschäftsführer und selbständiger Kommunikationsberater tätig. 2018 führte er die FDP als Spitzenkandidat zurück in den Bayerischen Landtag und war dort fünf Jahre lang Fraktionsvorsitzender. Das Wirtschaftsmagazin “Capital” zeichnete ihn 2018, 2019 und 2020 dreimal in Folge mit dem Titel „Junge Elite – Top 40 unter 40“ aus. Hagen lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Baldham.

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