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Der amerikanische Papst und die Migrationsfrage

Die Welt ist in Aufruhr, es gibt den ersten amerikanischen Papst, und dieser ist ausgerechnet ein politischer Kontrapunkt zu Donald Trump. Was will der Vatikan damit signalisieren? Zumindest die Medien haben sich rasch entschieden: Die New York Times bezeichnet Leo XIV als strategisch platziertes Gegenstück zu Trump und ausnahmsweise gibt ihr MAGA in Teilen recht, nur in drastischeren Worten. Die Trump-nahe Influencerin Laura Loomer nennt den Papst «another Marxist puppet in the Vatican», bezeichnete ihn weiter als «anti-Trump, anti-MAGA, pro-open Borders», Steve Bannon, Katholik, prophezeite bereits vor dem Konklave «Reibereien» zwischen dem Papst – wer auch immer es denn nun werde – und Trump, und Prevosts Bruder sagte in einem Interview mit der New York Times, der neue Papst sei «not happy with what’s going on with immigration» in den USA; der Rechtsaussen stehende Aktivist Charlie Kirk beschrieb Leo XIV als «open borders globalist installed to counter Trump».

Für viele scheint die Wahl von Kardinal Robert Francis Prevost daher eine erste wegweisende Ansage des Vatikans an die Welt, insbesondere die USA, wie diese gefälligst mit illegaler Immigration umzugehen habe: nämlich garnicht. Dem geht ein Disput zwischen Franziskus und J.D. Vance voraus. Am Tag vor seinem Tod, am 20. April 2025 empfing Franziskus Vizepräsident J.D. Vance zu einer Privataudienz in der Casa Santa Marta im Vatikan. Es war etwa 11 Uhr vormittags, Franziskus schenkte Vance Rosenkränze, darunter einen für seine Frau, und Schokoladenostereier für seine Kinder. Das Treffen, so berichtet die Online-Zeitschrift «National Catholic Register» war freundlich und zugewandt. Noch im Januar hatten Vance und Franziskus einen theologischen Disput gehabt. Franziskus kritisierte Vance für seinen Auslegung des «ordo amoris», ein innerhalb der Moralphilosophie von Thomas von Aquin relevantes Liebeskonzept, das wiederum auf Augustinus’ Auffassung von der Liebe beruht und die komplex und auslegbar ist. Wie lieben wir? Diese Frage beantworteten Vance und Franziskus auf unterschiedliche Weise. Für Franziskus, der im Februar dieses Jahres hierzu einen erklärenden Brief an die amerikanischen Bischöfe schrieb, hat die Liebe keine Hierarchie, erstreckt sich von der Liebe zu Gott, zum eigenen Selbst, zu den Menschen und in die Natur hinein. Vance widersprach: die Liebe habe sehr wohl eine Hierarchie, ziehe sich in konzentrischen Kreisen um das Ich, von Nähe zu immer grösserer Ferne (und letztlich Irrelevanz): Zuerst kommt die Liebe zu Gott, dann zum Selbst, zur Familie, zu Freunden, zu den Nachbarn und so fort. Oder, wie Vance Sean Hannity auf Fox News erklärte: „You love your family, and then you love your neighbor, and then you love your community, and then you love your fellow citizens in your own country, and then, after that, you can focus and prioritize the rest of the world. A lot of the far left has completely inverted that.” Zack, da war es wieder, die Keule gen Links, die die linksprogressive Kritik sogleich aufnahm und an Vance zurückspielte: dessen Auffassung von Liebe in Anführungszeichen sei reinstes MAGA; die Bewegung folge primitivstem Stammesdenken und wolle mit Pseudophilosophien von Liebe Massendeportationen von Migranten rechtfertigen.

2013 hatte Franziskus das an alle Bischöfe gerichtete Dokument „Evangelii Gaudium“ verfasst und darin seine Vision für eine inklusive Kirche dargelegt, das Leo XIV in seiner ersten Ansprache an die Kardinäle zitierte. Der Tenor des neuen Papstes: Die katholische Kirche werde die Ausgeschlossenen schützen, Brücken bauen und das ordo amoris praktizieren, wie Franziskus es verstanden habe.

Bereits im Februar hatte Franziskus in seinem Brief an die amerikanischen Bischöfe die seiner Ansicht nach zu scharfe Migrationspolitik der neuen Regierung kritisiert: “I exhort all the faithful of the Catholic Church, and all men and women of good will, not to give in to narratives that discriminate against and cause unnecessary suffering to our migrant and refugee brothers and sisters.“ Daraufhin erwiderte (der gläubige Katholik) Tom Homan, der White House Executive Associate Director of Enforcement and Removal Operations: “I’ve got harsh words for the Pope. (…) He ought to fix the Catholic Church and concentrate on his work and leave border enforcement to us.” Außerdem habe der Papst leicht reden, der Vatikan sei von einer Mauer umgeben, das sei in den USA leider nicht möglich. Auch der damalige Kardinal Prevost mischte sich in den Disput ein und tweetete im Februar: „JD Vance is wrong: Jesus doesn’t ask us to rank our love for others ”, im April später folgte ein Tweet, der Trump und den El Salvadorianischen Präsidenten Nyib Bukele für die Deportation den USA unter Duldungsstatus lebenden, vermeintlichen Gang-Mitglieds Kilmar Abrego Garcia kritisierte: „Do you not see the suffering? Is your conscience not disturbed? How can you stay quiet?” Vance blieb gelassen, tweetete: Die Idee, dass es so etwas wie enthierarchisierte Verpflichtungen gäbe, entziehe sich dem common sense. Dem neuen Papst gratulierte er zu seinem Amt.

Die Medien des gesamten politischen Spektrums stilisieren die Wahl des Papstes unnötigerweise zum historischen Kampf. Papstskeptiker setzen auf die USA als Retter des Abendlandes mittels einer radikalen Drosselung der Immigration und sorgen sich vor der Überflutung des Westens durch den globalen Süden – herbeigeführt von einem offene Grenzen propagierenden Vatikan. Für linksprogressive Medien steht Leo XIV vor der Wahl, sich entweder mit den „Faschisten“ einzulassen (gemeint ist die Trump-Regierung), also ein nächster Pius XII zu werden, oder er kann „Frieden schaffen“. Needless to say, war Weltfrieden der Plan aller Päpste, und alle scheiterten. Insgesamt wäre etwas mehr Gelassenheit angebracht, so wie Trump sie zeigt: Er schlug vor, den Vatikan zum neutralen Ort der Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu machen.

Author

  • Sarah Pines

    Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.

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