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Streit um Pandemie-Politik geht weiter

Die Pandemie ist vorbei, doch die Debatte um die deutsche Coronapolitik hält an. Während der Virologe Christian Drosten in einem neuen Buch eine persönliche Verantwortung für politische Fehlentscheidungen von sich weist, legt R21-Gründerin in Kristina Schröder den Finger in die Wunde: Sie kritisiert eine „geradezu groteske Eindimensionalität in der Zielsetzung der deutschen Pandemiepolitik“, an der auch Drosten seinen Anteil hatte.

Labor-Virologen und Modellierer hätten in der Debatte um Coronamaßnahmen dominiert, kritisiert Schröder, fast ausschließlich ihnen habe die Politik Gehör geschenkt. Andere medizinische Disziplinen wie Epidemiologen, Kinderärzte oder Psychologen seien kaum durchgedrungen. Dadurch seien Maßnahmen fast ausschließlich unter der Maßgabe betrachtet worden, ob sie zur Dämpfung des Infektionsgeschehens beitragen könnten. „Nebenwirkungen der Maßnahmen, auch offenkundige schwere Kollateralschäden für Leib und Leben, spielten in der öffentlichen Debatte fast keine Rolle“, so die ehemalige Bundesfamilienministerin in ihrer Kolumne für die Tageszeitung „Die Welt“.

Jugendlichen sei zwei Jahre lang fast alles genommen worden, was diese Lebensphase prägend und einzigartig macht, schreibt Schröder. Eine der Folgen: Essstörungen bei jungen Mädchen haben um rund 30 Prozent zugenommen. „Magersucht führt in 10 – 15 Prozent der Fälle zum Tod“, erklärt die R21-Gründerin, „in den kommenden Jahren werden wahrscheinlich mehr junge Frauen zusätzlich an Essstörungen sterben als jemals an Corona.“

Christian Drosten, so Schröder, habe immer wieder die Grenzen der Wissenschaft überschritten: „Auch, wenn er sich heute so betont unpolitisch gibt, tat er genau das: Er stellte politische Forderungen auf, schloss aus seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen, aus Tatsachenaussagen, auf Werturteile.“ So hatte Drosten am Vorabend der entscheidenden Ministerpräsidentenkonferenz im April 2020, in der es um die Öffnungen der Schulen und Kitas gehen sollte, sein (wissenschaftlich umstrittenes) Paper über die Infektiosität von Kindern veröffentlicht und darin explizit vor einer Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten gewarnt. „Damit begann Deutschlands Sonderweg, der zu den im europäischen Vergleich mit am längsten Schulschließungen mit all ihren katastrophalen Auswirkungen führte“, so Schröder. Im Dezember 2020 unterschrieb Drosten dann die Stellungnahme, mit der die Leopoldina die Politik zu einem harten Lockdown drängte. Wieder wurden Schulen und Kitas geschlossen.

„Für all das weist Christian Drosten heute jegliche Verantwortung weit von sich“, so Kristina Schröder. „Er will im Nachhinein nur der neutrale Wissenschaftler gewesen sein. Auch oder gerade weil er wahrscheinlich ahnt, wie die Nachwelt seine Rolle beurteilen wird.“

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  • Kristina Schröder

    Kristina Schröder ist stellvertretende Leiterin der Denkfabrik R21 und arbeitet als selbständige Unternehmensberaterin, Publizistin und Kolumnistin bei der Tageszeitung WELT. Von 2002 bis 2017 war die Christdemokratin Mitglied des Deutschen Bundestages. Neben ihrem Mandat schrieb sie ihre Dissertation bei dem Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter zum Unterschied zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit. Von 2009 bis 2013 war sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Danke, emanzipiert sind wir selber. Abschied vom Diktat der Rollenbilder“ lautete der Titel ihrer 2012 erschienenen Streitschrift, in der sie für eine Politik der Wahlfreiheit und des Respekt des Staates gegenüber privaten Lebensentwürfen von Frauen und Familien plädiert. Im September 2021 veröffentlichte Kristina Schröder die Essaysammlung "FreiSinnig. Politische Notizen zur Lage der Zukunft". Schröder engagiert sich ehrenamtlich in der schulischen Elternarbeit und als Botschafterin der Initiative Neue soziale Marktwirtschaft.

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