Foto: Denkfabrik R21

Wem gehört der Hotdog? RFK und der Streit um die amerikanische Gesundheit

Liebe Sarah, wofür steht MAHA?

In Anlehnung an MAGA – Make America Great Again – stand MAHA erst für ein Motto, inzwischen für eine Bewegung: Make America Healthy Again.

Warum ist es wichtig, dass wir hier über MAHA reden?

In den USA hat der Kulturkampf nun auch das Gesundheitswesen, in Teilen die Medizin, vor allem aber die Ernährung erfasst, nicht nur Fast Food sondern so ziemlich alles Essen, insbesondere verarbeitete Lebensmittel, von dem in den USA die Supermarktregale platzen. Seit Robert F. Kennedy Gesundheitsminister – und damit Leiter der Gesundheitsbehörden CDC, NIH, FDA und CMS – geworden ist und sich weniger Infektionskrankheiten widmet, sondern chronische Krankheiten bekämpfen will, wie Fettleibigkeit oder Diabetes und dafür die Lebensmittelindustrie reformiert, schädliche Zusatzstoffe, Pestizide, bestimmte pharmazeutische Präparate verbietet, die übrigens in der EU längst verboten sind oder nie erlaubt waren, ist die Empörung auf demokratischer Seite groß.

Klingt doch aber vernünftig.

Ist es auch. Mit dem Thema Ernährung in Amerika verhält es sich allerdings ähnlich wie mit dem Thema Klimaschutz – das haben hier die Demokraten, in Deutschland die Grünen gekapert und niemand sonst kann mehr wirklich konstruktiv beitragen, ohne zurechtgewiesen zu werden. Nun haben sich die Demokraten das Thema „gesund Essen“ wegnehmen lassen, ausgerechnet von MAGA.

Und das, obwohl Trump gerne Fast Food ist.

Ja, das tue ich auch, Pommes mit Käsesauce von Shake Shack, wunderbar, noch besser deep dish Pizza mit dreifach Mozzarella und obenauf kreisförmiges Kunst- oder Abfallfleisch, dass Salami sein soll. Herrlich. Riecht auch toll. Nur gibt es Menschen, und nicht wenige, die auf Schrottessen angewiesen sind. Dort, wo ich lebe, gibt es viele Trailerparks, die Leute haben noch nicht mal Küchen, sammeln Coupons für MacDonalds, Taco Bell, Billigsupermärkte. Da kann man auch nicht sagen, na, Kartoffeln sind gesünder und billiger als jeder Burger, jeder kann irgendwie gesund essen. Billige Äpfel sind mit Pestiziden besprüht, ein Bioapfel kostet im Schnitt soviel wie ein billiger Hotdog. Dann nehmen die Leute den Hotdog und werden satt.  Die USA sind das Land der Übergewichtigen, nirgendwo im Westen sterben so viele Menschen an Fettleibigkeit, nirgendwo nehmen so viele Menschen die Abnehmspritze Ozempic. Dass sich nun ausgerechnet viele Progressive freiwillig-unfreiwillig für eine gewisse Form von Schrottessen einsetzen, nur um MAGA eins auszuwischen, ist bemerkenswert. Die Hypokrisie des derzeitigen Streits ums Essen sagt viel mehr über die amerikanische Gesellschaft aus, als jede Migrationsdebatte. Und in Europa schreibt keine einzige Zeitung darüber.

Ausgerechnet RFK, Neffe von John F. Kennedy und Sohn von Robert Kennedy, ehemaliger Demokrat, nun parteiunabhängig, einst erfolgreicher Umweltrechtler mit Schwerpunkten Trinkwasserverschmutzung, und Impfskeptiker will nun die Lebensmittelindustrie retten.

RFK, von dem das Zitat „American politics is driven by two forces: One is intensity, and the other is money“ stammt, ist einer der interessanteren Menschen im Umfeld vom Trump. Als junger New Yorker Anwalt war er heroinsüchtig. Als Teenager arbeitete er in einem Heim für psychisch kranke Erwachsene, die vor seinen Augen kopulierten. Kennedy Jr. kritisiert Amazon, triff für Datenschutz, sauberes Trinkwasser, erneuerbare Energien und die Landrechte von Native Americans ein, verurteilt Fracking. Zusammen mit MAHA sieht er sich als Volksaufklärer, veröffentlichte bereits zwei Teile der vierteiligen Doku „Toxic Nation: From Fluoride to Seed Oils: How We Got Here“. Hier ist es interessant, dass CNN – ein linksprogressives Medium – die Dokumentation billigt, veröffentlichte bereits im Vorfeld von RFKs Ernennung zum Gesundheitsminister fundierte Artikel über den Zusammenhang von hochverarbeiteten Lebensmitteln (ultraprocessed foods), die zu viel Salz, Fett, Zucker beinhalten, Chips, Fertiggerichte, Wurst, Nuggets, Cracker, Süßigkeiten, die Liste ist schier endlos, und Krebsrisiken zu veröffentlichen.

Ikonische Gerichte kommen aus den USA, Burger, Hotdog, Softeis, Coca Cola, sie tauchen in Bücher, und Filmen auf, in der Kunst …

… wie Campbell‘s Tomatensuppe, die Warhol so gerne darstellte, Mac n‘ Cheese. Diese Gerichte zeugten nach dem Krieg von Wohlstand auf Aufbruch, vermittelten Pop, Spaß, Lebensfreude, weil sie bunt sind, glänzten, anders waren und demokratisch, da für alle zu haben. Heute liegen sie auf dem Grabbeltisch des Junkfood. RFK klagt Kellog‘s, MacDonalds an, sagt, „they mass poison American children“. Ähnlich wie die Tabakindustrie von einst, wird nun die Lebensmittellobby nervös, bittet ihn, doch seinen Ton zu dämpfen, bitte doch nicht die grelle Lebensmittelfarbe in den Fruit Loops zu verbieten, wer solle das Zeugs dann noch kaufen, der Wirtschaft werde irreparablen Schaden zugefügt. Landwirtschaftsverbände sorgen sich außerdem vor einem dräuenden Verbot bestimmter Pestizide und Unkrautvernichter wie Krebs verursachendes Glyphosat. Alle sehen ihre finanziellen Felle davon schwimmen, wenn Essen gesund wird.

Diese Woche feuerte er das Impfexperten-Gremium des CDC, das von Biden während der Pandemie ernannt wurde.

Insgesamt schätzt RFK wissenschaftliche Expertengruppen nicht, hält sie – insbesondere seit Covid – für politisiert und korrupt. Er tritt mit kernigen Phrasen auf, auch einer seiner Anhänger sagte, die amerikanische Gesellschaft erlebe „the greatest metabolic collapse in human history“. In der Tat leben in den USA die kränksten Menschen und Kinder der westlichen Welt, was an dem miesen Gesundheitssystem aber sicher auch an ultra-verarbeiteten Lebensmitteln, Pestiziden und einem hemmungslosen Umgang mit Medikamenten – Antidepressiva, Antibiotika und solche für Gewichtsabnahme – liegt. Die Lebensmittelindustrie in den USA ist komplett enthemmt, hier ist an Beimischungen erlaubt, was überall sonst in der westlichen Welt undenkbar wäre. Wenn in der EU zirka vierhundert Zusatzstoffe für Nahrungsmittel erlaubt sind, dann sind es in den USA weit über zweitausend, die meisten davon sind nicht behördlich geprüft, gelten als vielleicht unbedenklich, vielleiht nicht. Hier haben normale Supermarktpommes etwa fünfunddreißig Zutaten – Zusatzstoffe, Geschmacksverstärker, Konservierungsmittel – in Deutschland etwa elf. Das irre, schlimme Sozialgefälle ist in den USA auch an den Lebensmittelpreisen ablesbar: Für die Armen gibt es den letzten Schrott mit den toxischsten Zutaten für billig, sie sind oft adipös, haben schlechte Zähne, sind chronisch krank. Die wohlhabenderen Schichten kaufen Bio für glatt das dreifache im Vergleich zu deutschen Biolebensmittelpreisen, kaufen Essen frisch von der Farm, edle Co-op Lebensmittel, oder aus Europa Importiertes.

RFK nennt die Covid-Impfung die tödlichste Impfung der Welt.

Und sieht einen Zusammenhang zwischen Kinderimpfungen und Autismus – dieser Zusammenhang ist umstritten. Während der Pandemie, als sein Buch über die Pharmaindustrie und den damaligen Leiter des CDC Dr. Anthony Fauci erschien, nannte ich ihn in einem Artikel den Mann, der einen bereits verlorenen Kampf kämpfte, aber er kämpfte ihn immerhin. RFK gilt als Nordamerikas bekanntester Anti-Vaxxer, der, allen Vorurteilen zum Trotz, aus dem Rahmen dessen fällt, was sich Politik und Medien so unter dem klassischen Impfgegner vorstellen: Prekär, ungebildet und notfalls, wie damals in Deutschland mit Grillwürstchen oder Kinokarten zu bestechen, mit Hakenkreuz unterm Kissen, oder im Aluhut-Wallagewand, verklärt die Sterne beschwörend. Allerdings würde ich RFK nicht Impfgegner, sondern eher Impfskeptiker nennen, der sagt, Impfungen schützen, aber die Medizin hat sich zu wenig mit den Nebenwirkungen von Impfungen und Zusammenhänge mit chronischen Krankheiten beschäftigt. Während der Pandemie hat er sich gegen Impfzwänge und 1-G Massnahmen ausgesprochen, ausserdem Kritik an mRNA-Impfstoffen geübt, die Kleinkinderimpfung und die Segregation der Gesellschaft in geimpft und ungeimpft kritisiert. Auch hat er die berühmte, auf Google nur wenige Tage einzusehende, dann wieder verschwundene Great Barrington Declaration gutgeheissen. Für viele Amerikaner wurde Kennedy während der Pandemie zum Leitstern, parteiübergreifend.

Nur kurz: 2020 wurde Great Barrington Declaration im Internet veröffentlicht und stante pede ge-canceled, heute hat diese Erklärung einen Wikipedia-Eintrag, der Text ist online einzusehen.

Ja, so geht das. Heute weiss man, dass die Verfasser Recht hatten.

Gesponsort vom American Institute for Economic Research hatten die Professoren Sunera Gupta aus Oxford, Martin Kulldorff aus Harvard und Jay Bhattcharaya aus Stanford in ihrer Erklärung unter anderem den Lockdown kritisiert und den gezielten Schutz von Risikogruppen gefordert.

Und im Februar wurde Bhattcharaya zum Direktor des National Health Institutes ernannt – immerhin.

Es ist interessant, dass die Parteilinien, wenn es um RFK geht, längst nicht so einschneidend und vorhersehbar verlaufen, wie zum Beispiel in Fragen der Migration, der Abtreibung, oder was Israels Angriff auf Gaza betrifft.

Absolut, ja. RFKs Anhänger entstammen dem gesamten politischen Spektrum, setzen sich aus allen möglichen Menschen zusammen, aus dem kalifornisch-bürgerlichen Bio-Milieu, Sportler, Wrestler, Köche, Alt-Hippies; Anwälte, Ökonomen, TV-Moderatoren. Eine Anekdote: Auf der Malibu Fig Farm, ein am Pacific Coast Highway nahe Los Angeles gelegener Biogemüsestand, drum herum Felder und Lavendelhaine leitete Kennedy während der Pandemie Anti-Impfzwang-Seminare, dorthin kamen vor allem weisse, wohlhabende und gebildete Frauen aus West L.A., genauer: Brentwood, wo auch Kennedy lebt, und aus Santa Monica – Hochburg der Demokraten und bekannt für wohlsituierte, Show-Biz und Tech nahestehende Lebensverhältnisse.

In Washington ist von der MAHA Cheer Squad die Rede, das sind auch Frauen.

Ja, schöne, blonde Frauen, darunter die TV-Moderatorin Megyn Kelly, die bei Senatsanhörungen von RFK hinter ihm in der ersten Reihe sitzen.

Was macht MAHA noch derzeit?

RKF streicht Stellen im Gesundheitswesen, nicht ganz im DOGE-Stil, aber ein bisschen, kürzt angelblich den Versicherungsschutz für Medicaid, das unter Präsident Truman in den 60er Jahren eingeführt wurde, ein Programm für Bedürftige. Nun werfen die Demokraten den Republikanern vor, ihrerseits die Bevölkerung zu „töten“. Die republikanische Senatorin Joni Ernst gab die zynische Antwort „Well, we are all going to die“ und prangerte die linke Hysterie an, stellte richtig, dass es um die Kürzungen überflüssiger Gelder gehe, darum, die Verschwendung und Betrug zu reduzieren, um Medicaid für die nutzbarer zu machen, die es brauchen.

Der Familienname Kennedy öffnet noch heute in den USA alle Türen. Neben dem Essen ist des das Thema Impfung, das RFK stärker antreibt, als die meisten. Wieso?

Nicht alles hat eine Antwort. Beschäftigt man sich einmal mit dem Streit um Impfmittel – schädlich, ja oder nein? – betritt man eine schier endlose, sich in immer weitere Wirbel verzweigende Welt, in der Nachkommen Rousseaus nach dem Motto «die Natur ist gut, die Gesellschaft korrumpiert» auf vermeintliche industrielle Gier und Korruption treffen. Kennedy ist Demokrat der alten Schule, ein amerikanischer Hamlet, wie John F. Kennedy, wie sein 1968 erschossener Vater. RFK war da knapp vierzehn Jahre alt. In allen Kennedys liegen grosse Hoffnungen, idealistische Träume, Wahnsinn und Wahn dicht beieinander.

Author

  • Sarah Pines

    Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.

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