Profil statt Teflon
Kristina Schröder und Andreas Rödder erklären im Gespräch mit der Tageszeitung „Münchner Merkur“ die Zielsetzung der Denkfabrik R21 und beleuchten das aktuelle Problem öffentlicher Diskurse. Nachfolgend das Interview im Auszug:
Frau Schröder, Herr Professor Rödder, Sie beide haben die Denkfabrik „R21. Neue bürgerliche Politik“ gegründet. Warum gerade jetzt?
Schröder: Das plagt uns seit Jahren. Das bürgerliche Lager hat mit zu wenig eigenständigen Gedanken und Konzepten die Politik geprägt. Wir stehen zu oft bei Debatten mit dem Rücken zur Wand, statt sie intellektuell zu bestehen.
Rödder: Wir haben vor einem Jahr gesagt, wir müssen aus dem ewigen „Man könnte, man sollte, man müsste“ in den Modus „Wir machen jetzt“ wechseln. Voilà.
Sind wir zu böse, wenn wir vermuten, dass es die Denkfabrik auch deshalb braucht, weil die Union nach 16 Jahren Merkel keine kraftvolle bürgerliche Stimme mehr ist?
Rödder: Wieso sollte das böse sein? Das ist Teil der Diagnose, und das bekommt die Union zurzeit ganz bitter zu spüren. Unser Ziel ist, der bürgerlichen Politik eine intellektuell satisfaktionsfähige Stimme zu geben. Nicht zu kapitulieren, schon bevor Debatten begonnen haben.
Sie haben neulich geschrieben, dass Sie ein Forum sein wollen für Menschen, die den Mut haben, „nicht konforme Positionen“ zu äußern. Haben wir in unserer deutschen Debatte zu viel konforme Duckmäuser?
Schröder: Man kann schon beobachten, dass es bestimmte Themen gibt, für die man sehr viel Standfestigkeit braucht. Das sind zum Beispiel alle Themen rund um Migration, Zuwanderung, Integration. Wobei ich zum Teil auch Verbesserungen feststelle: Über das Thema Islam kann man heute offener reden als vor zehn Jahren. Enger werden dafür die Grenzen bei Debatten über echte oder vermeintliche Diskriminierungen von Minderheiten. Rechtlich kann man in Deutschland alles sagen, muss aber einrechnen, dass man persönlich angegriffen und niedergemacht wird.
Rödder: Wir erleben, wie in der öffentlichen Debatte mehr und mehr mit moralisierenden Argumenten diskreditiert und marginalisiert wird. Bürgerliche sind nicht duckmäuserisch, aber es gibt Mechanismen der Einschüchterung.
Schröder: Und in der identitätspolitischen Debatte wird der Diskursraum vermessen, der in dieser Gesellschaft als legitim gilt. Und diesen Raum möchten wir wieder weitern.
Auch die Grünen sehen sich heute doch als bürgerliche Partei!
Rödder: In Teilen sind die Grünen eine bürgerliche Partei. Gerade Robert Habeck bemüht sich ja offensiv, seine Partei da zu positionieren. Was die Grünen dabei nicht loswerden, ist der Habitus, die Menschen zu erziehen und eine neue Welt zu schaffen. In der Partei wird es noch große Konflikte geben zwischen radikalen Klimaaktivisten und bürgerlichen Grünen.
„Bürgerliche Politik“ – was ist das eigentlich?
Rödder: Bürgerliche Politik geht auf die Ablösung der vormodernen, ständischen Gesellschaft durch eine bürgerliche Wettbewerbsgesellschaft zurück, die vom Individuum ausgeht. Konkret heißt das erstens: die Verpflichtung auf Eigenverantwortung. Zweitens: individuelle Freiheit und Pluralismus. Das klingt so banal, ist aber ganz entscheidend: Pluralismus ist die Vielzahl der unterschiedlichen Individuen, während Diversität im Grunde ein ständisch gegliedertes, das heißt nach Gruppenzugehörigkeit organisiertes Modell ist. Das dritte ist Rechtsstaatlichkeit. Der Rechtsstaat hütet die Ordnung, zum Beispiel gegenüber linken Infragestellungen des Gewaltmonopols, aber auch die Humanität, zum Beispiel gegenüber denjenigen, die am liebsten das Recht auf Asyl abschaffen würden. Das vierte ist Ordnungspolitik und Marktwirtschaft, Wettbewerbsorientierung und Technologieoffenheit.
Schröder: Nicht bürgerlich ist zum Beispiel das Denken in kollektivistischen Gruppenidentitäten. Damit habe ich immer gefremdelt, auch wenn es in der Union immer mehr Akzeptanz findet. Ich habe schon als Bundesfrauenministerin immer gesagt: Mir geht es um Gleichberechtigung, nicht Gleichstellung.
Sie meinen die Frauenquoten-Debatten in vielen Parteien – die gehen dann „kollektiven Gruppenidentitäten“ auf den Leim?
Schröder: Ich halte Quoten nach wie vor für problematisch. Sie passen auch nicht zu christdemokratischen Werten. Quoten müssen immer persönliche Unterschiede in der Leistung oder den Präferenzen ignorieren, um angebliche Vor- oder Nachteile auf Grund des Geschlechts zu überwinden. Und dabei machen sie eben dieses Geschlecht zum entscheidenden Kriterium.
Rödder: Für Bürgerliche heute ist es doch selbstverständlich, dass Du nicht so dastehst wie Horst Seehofer 2018 mit der Leitungsabteilung seines Innenministeriums …
…. lauter Männer in schlecht sitzenden Anzügen, null Frauen.
Rödder: Das ist eine Frage von Sensibilität und Achtsamkeit. Natürlich braucht die Union mehr weibliche Mitglieder und mehr Frauen in Führungspositionen. Aber paritätische Quoten sind weder bürgerlich noch liberal noch gerecht. Christdemokratisch wäre zu sagen: Wir haben ein gemeinsames Ziel, und wir suchen dafür geeignete Methoden.
Jetzt sagen die Grünen, wenn sie in der Sprache genau gendern, das sei eben jene Achtsamkeit.
Rödder: Das Problem ist doch, dass auch diese Debatte extrem ideologisiert ist und zu neuen Ausschließungen führt. Ich gendere sehr konsequent, indem ich das generische Maskulin verwende. Das ist die smarteste Form des Genderns, weil sie alle einschließt, ohne auszuschließen. Mit allen anderen Mitteln geraten Sie in die Falle, dass „Bürgerinnen und Bürger“ leider Transpersonen ausschließt, während Gender-Stern und Glottisschlag der Gesellschaft eine bestimmte Weltanschauung, die Idee fluider Geschlechtlichkeit aufzwingen.
Schröder: Wenn ich sage: „Liebe Studierende“ – dann ist das Verhunzung der Sprache, das Partizip zu substantivieren. Mit solchen Sprachregelungen soll die Verbeugung vor einer bestimmten Ideologie erzwungen werden. Dass das Geschlecht eine fluide Kategorie sei, die jeder selbst wählen könne, praktisch ohne biologische Verankerung – spätestens da bin ich anderer Auffassung. Natürlich gibt es Trans- und Intersexualität, keine Frage. Aber den meisten Menschen ist ihr Geschlecht recht klar, und es ist nicht selbst gewählt.
„Deutschland als Einwanderungsgesellschaft“ soll einer Ihrer ersten Themenschwerpunkte sein. Wollen Sie die Migrationsdebatte noch mal aufrollen?
Schröder: Vor allem die Integrationsdebatte ist entscheidend, denn hier geht es um unsere kulturellen Grundlagen. Das, was 2015 die Menschen so in Unruhe versetzt hat, waren doch nicht die operativen Fragen: Haben wir genügend Betten für die Flüchtlinge? Sondern im Kern die Frage: Hält es unsere Gesellschaft aus, wenn so viele Menschen aus einem Kulturkreis zu uns strömen, mit dem es deutliche Integrationsprobleme gibt? Das müssen wir klar benennen: Solche Probleme gibt es bei Migration aus muslimischen Ländern ungleich stärker. Wir können viele integrieren, aber bei einer Million Menschen wie 2015 spüren wir das auf unseren Schulhöfen und in den U-Bahn-Stationen. Das hat den Menschen Angst gemacht.
Es rollt wieder an, diesmal über Belarus. Die Grünen fordern, mehr Menschen bei uns aufzunehmen. Wo ist die Gegenposition bürgerlicher Parteien?
Rödder: Wir rollen auf dasselbe Problem wie 2015 zu. Wir müssen weiterhin Mitgefühl haben mit den Menschen, die sich auf diese Flucht machen.
Schröder: … aber wir müssen immer auch sehen: Die, die es dann nach Europa schaffen, sind eher die Männer als die Frauen, eher die Alleinstehenden als die Familien, eher die Gesunden als die Kranken…
Rödder: … eher die Mittelschicht als die wirklich Armen. Sobald wir die Moralkeule auspacken, ist es mit jeder Differenzierung vorbei. Aber genau diese Differenzierung – wer braucht unsere Hilfe – muss bürgerliche Politik leisten.
Das ganze Interview auf der Website des Münchner Merkur >