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Foto: Denkfabrik R21

Ehegattensplitting ermöglicht Wahlfreiheit

Familienministerin Lisa Paus forderte jüngst eine Abschaffung des Ehegattensplittings – und bekam vom liberalen Koalitionspartner prompt eine Abfuhr. Gut so, meint R21-Gründerin Kristina Schröder: Aus dem Wunsch nach einer Abschaffung des Ehegattensplittings spricht die staatliche Umerziehungswut.

Von Kristina Schröder

Gegen das Ehegattensplitting werden im Kern zwei Einwände vorgebracht: 1. Es sei ungerecht, weil es Ehen bevorzuge. 2. Es sei ungerecht, weil es unter den Ehen die Alleinverdienerehe bevorzuge.

Bevor man sich den Argumenten widmet, sollte man sich erst noch mal die Wirkweise des Splittings bewusst machen. Es geht von der banalen Annahme aus, dass Ehepaare gemeinsam wirtschaften. Dass sie, egal, wer wie viel zum gemeinsamen Einkommen beisteuert, zusammen in einer Wohnung oder einem Haus leben und dieses finanzieren, aus dem Haushaltseinkommen gemeinsam ihre Lebensmittel bezahlen und sogar oft auch traut miteinander verspeisen und dass auch sonst die alltägliche Lebensführung, finanziell betrachtet, ein gemeinsames Projekt ist. Und auch wenn er monatlich 4000 und sie 2000 Euro verdient, wird in zumindest leidlich intakten Ehen doch zumeist im Urlaub dasselbe Drei-Sterne-Hotel gebucht und nicht die vier Sterne für ihn und die zwei Sterne für sie.

Natürlich gibt es Ehepaare, die dennoch ähnlich wie unverheiratete Paare in kunstvollen Gebilden aus diversen Konten für sie, ihn, die Kinder, den Haushalt und die Hobbys die Fiktion getrennter aufrechterhalten. Doch wenn das Paar wie alle Ehepaare, die keinen Ehevertrag abgeschlossen haben, in einer Zugewinngemeinschaft lebt, ist das völlig irrelevant. Im Falle einer Scheidung wird nüchtern berechnet, welche Vermögenswerte während der Ehe hinzugekommen sind, und diese werden durch zwei geteilt. Weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass auch der Partner, der vielleicht die Familienarbeit organisiert und kein eigenes Einkommen hat, genau dadurch ebenfalls zum Vermögenszuwachs beigetragen hat.

Diese Annahme ist nur fair. Und auch in dem Fall, in dem einer der geschiedenen Partner während der Ehe einen höheren Anspruch auf eine Rente oder Pension erwirtschaftet hat, wird die Differenz zur niedrigeren Rente des anderen Partners fair ausgeglichen. Weswegen auch der stets mit viel Empörung vorgetragene Gender Pension Gap, der große Bruder des Gender Pay Gap, von 46 Prozent irreführend ist. Denn darin sind alle Ehepaare enthalten, und für die gilt im Alter: Entweder ist das Paar noch verheiratet und lebt von den gemeinsamen Altersansprüchen. Oder es fand eine Scheidung statt, und während der Ehe erworbene Renten- und Pensionsansprüche wurden gleich auf beide Partner verteilt. Dies wird selbstverständlich in sämtlichen einschlägigen Studien zum Gender Pension Gap nicht berücksichtigt, zu viele Fakten machten einfach die Story kaputt.

Der Gesetzgeber ist also erfreulich konsequent in seiner Annahme, dass gemeinsam gewirtschaftet wird. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das für Ehepartner bedeutet, mit allen Rechten und Pflichten. Steuerrechtlich ist die Annahme gemeinsamen Wirtschaftens insofern für viele Ehepaare von Vorteil, als auch ihr gemeinsames Einkommen durch zwei geteilt wird und darauf dann der Steuersatz festgelegt wird. Das Ehepaar, bei dem die Partner 4000 und 2000 Euro verdienen, wird also nur so besteuert, als verdienten beide jeweils 3000 Euro im Monat. Wegen des progressiven Verlaufs unseres Steuertarifs ist dies günstiger, als wenn beide Partner individuell besteuert werden. Ein Vorteil für Ehepaare also, in der Tat, der aber eben auch der Lebensrealität des gemeinsamen Wirtschaftens entspricht.

Damit verknüpft sind aber auch eine Reihe von Nachteilen, oder sagen wir netter: Pflichten, die auch nur Ehepaare zu tragen haben. Die wichtigste ist die Unterhaltspflicht, die bereits während der Ehe besteht und auch im Falle einer Trennung – siehe Aufteilung der Rentenansprüche – in vielen Fällen bis zum Tod währt. Genau genommen übrigens noch länger, Ehepartner sind auch verpflichtet, gegenseitig für die Beerdigungskosten aufzukommen. Ehepartner und auch solche, die es mal waren, haben also zuerst mal gegenseitig füreinander zu sorgen, bevor sie nach dem Staat rufen dürfen – das ist die Maxime des Gesetzgebers und das entscheidende Gegenargument zu Einwand Nummer eins, der die Bevorzugung von Ehepaaren durch den Staat beklagt. Der Staat bevorzugt Ehen, weil er ihnen an anderer Stelle besondere Lasten auferlegt. Und jedem Paar steht es frei, diese besondere Verpflichtung in guten wie in schlechten Zeiten einzugehen. Nur eine Einzelbuchung ausschließlich der guten Zeiten, die ist leider nicht möglich.

Kommen wir zum zweiten Einwand gegen das Ehegattensplitting, der ist ohnehin der spannendere. Denn an diesem Punkt knallt es. Das Splittingverfahren hat nämlich eine bemerkenswerte liberale Eigenschaft: Es mischt sich nicht in die Rollenverteilung von Paaren ein. Egal, ob er 4000 und sie 0 Euro verdient („veraltetes Rollenklischee!“), sie 4000 und er 0 Euro („moderner Mann!“), beide 2000 Euro („partnerschaftliches Modell auf Augenhöhe“) oder er 3000 und sie 1000 Euro („Teilzeitfalle!“), in allen Fällen ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Paares mit 4000 Euro brutto gleich, und daher zahlen alle diese Paare dank des Ehegattensplitting exakt die gleichen Steuern.

Das finden die einen gut, weil das Ehegattensplitting dafür sorgt, dass alle Paare unabhängig von ihrer Rollenverteilung gleich behandelt werden. Und die anderen schlecht, weil eben alle Paare unabhängig von ihrer Rollenverteilung gleich behandelt werden. Weil aber letztere Position kritische Gegenfragen provozieren könnte, wird kunstvoll drum herum argumentiert. Und so lautet der zweite zentrale Einwand gegen das Splittingverfahren: „Das Ehegattensplitting bevorzugt die Alleinverdienerehe.“ Diese Behauptung wird in Debatten praktisch immer vorgebracht, und wahrscheinlich glauben inzwischen wirklich 70 Prozent der Deutschen, Alleinverdienerehen müssten weniger Steuern zahlen als Doppelverdiener, die zusammen monatlich dieselbe Summe nach Hause bringen. Nein, müssen sie nicht, sondern exakt genauso viel. Aber ohne Ehegattensplitting müssten Alleinverdienerehen mehr Steuern zahlen als das vergleichbare Ehepaar mit den zwei Einkommen.

Der wirkungsvollste Angriff aber kommt fürsorglich daher: „Das Ehegattensplitting hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern“, heißt es. Es müsse abgeschafft und durch ein modernes Steuersystem ersetzt werden, „das Frauen nicht länger hohe Hürden in den Weg hin zu mehr Freiheit und Eigenverantwortung legt“, so Marcel Fratzscher, immerhin Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dieses Argument lohnt einer genaueren Betrachtung, gerade auch in der Art, wie es sprachlich vorgebracht wird. Welches Menschenbild, genauer: Welches Frauenbild steckt dahinter? Offenbar eines, das uns auch in der Debatte über das Betreuungsgeld und in dem Gerede über angebliche „Teilzeitfallen“ begegnet: Frauen werden als naive Wesen beschrieben, die wegen eines kleinen kurzfristigen ökonomischen Vorteils sämtliche berufliche Ambitionen über Bord werfen und dümmlich in die Heimchen-am-Herd-Falle tappen.

Da man Frauen aber wiederum nicht derart direkt attackieren möchte, werden zur Beschreibung dieses Prozesses stets gesellschaftliche Strukturen betont, die die beteiligten Frauen so frappant passiv erscheinen lassen: Frauen werden vom Arbeitsmarkt „ferngehalten“, sie stoßen an „gläserne Decken“ und „strukturelle Barrieren“, ihnen werden „Hürden in den Weg gelegt“, gar „hin zu mehr Freiheit und Eigenverantwortung“. Es scheint für die, die so argumentieren, unvorstellbar zu sein, dass es auch eine Freiheit gibt, die sich nicht ausschließlich in Vollzeiterwerbstätigkeit verwirklicht. Vor allem aber auch, dass Paare in Freiheit und Eigenverantwortung eine selbstbewusste Entscheidung treffen, wie sie die einzigartige Lebensphase, in der sie kleine Kinder haben, verbringen wollen. Aus der Perspektive der Frauen gesprochen: Vielen bedeutet ein früher Wiedereinstieg in den Beruf ein erfülltes Leben, gute Karriereperspektiven und ökonomische Sicherheit. Andere nehmen eventuell schlechtere Karriereperspektiven, auch im Scheidungsfall, in Kauf, weil sie vielleicht fürchten, sonst später zu bereuen, zu wenig Zeit mit den Kindern verbracht zu haben. Wer bitte darf sich anmaßen, darüber zu urteilen, welches Lebensmodell das richtige ist?

Wer das Ehegattensplitting abschaffen will, will genau dieses Urteil fällen. Und er will Paare zwingen, sich diesem Urteil zu beugen. Indem er ihnen durch eine höhere Steuer mehr Geld nähme als anderen Ehepaaren, die exakt das Gleiche monatlich verdienen, aber eine „moderne“ Rollenverteilung leben. Unter diesen Umständen könnten sich nur noch Besserverdiener leisten, dass ein Elternteil in den ersten Jahren mehr Zeit mit dem Kind verbringt. Alle anderen wären diesem besonders perfiden Versuch staatlicher Umerziehung hilflos ausgeliefert.

Kristina Schröder

Kristina Schröder ist stellvertretende Leiterin der Denkfabrik R21 und arbeitet als selbständige Unternehmensberaterin, Publizistin und Kolumnistin bei der Tageszeitung WELT. Von 2002 bis 2017 war die Christdemokratin Mitglied des Deutschen Bundestages. Neben ihrem Mandat schrieb sie ihre Dissertation bei dem Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter zum Unterschied zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit. Von 2009 bis 2013 war sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Danke, emanzipiert sind wir selber. Abschied vom Diktat der Rollenbilder“ lautete der Titel ihrer 2012 erschienenen Streitschrift, in der sie für eine Politik der Wahlfreiheit und des Respekt des Staates gegenüber privaten Lebensentwürfen von Frauen und Familien plädiert. Im September 2021 veröffentlichte Kristina Schröder die Essaysammlung "FreiSinnig. Politische Notizen zur Lage der Zukunft". Schröder engagiert sich ehrenamtlich in der schulischen Elternarbeit und als Botschafterin der Initiative Neue soziale Marktwirtschaft.

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