Andreas Rödder: Die Zukunft ist radikal offen
„Die Zukunft ist radikal offen.“ Diese „entscheidende Einsicht“ des Historikers hält der Leiter der Denkfabrik R21, Andreas Rödder, allen entgegen, die aus den kumulierenden Krisenerfahrungen der Gegenwart vorschnell düstere Prognosen für die nächsten Monate und Jahre ableiten.
In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ machte Andreas Rödder klar, dass mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine die internationale Ordnung des Jahres 1990, die das Ende des Kalten Krieges markierte, endgültig zusammengebrochen sei. Jetzt müssten eine werteorientierte Außenpolitik und eine realpolitische Bestandsaufnahme miteinander in Einklang gebracht werden. „Das Gebot der Stunde für den Westen ist Selbstbehauptung“, erklärte er. Autokraten wie Putin verstünden nur die Sprache der Abschreckung und der Macht.
Andreas Rödder kritisierte „die verhängnisvoll unhinterfragte Russlandpolitik“ der Regierungen Schröder und Merkel, und bedauerte zugleich, dass es dem Westen nicht gelungen sei, ein tragfähiges Verhältnis zu Russland aufzubauen – was aber mit der außerordentlich komplexen Ausgangslage nach 1990 zu tun habe. Vor diesem Hintergrund bezeichnete er NATO- und EU-Osterweiterung als „Erfolgsgeschichten nach 1990“, weil sie das Sicherheitsbedürfnis der Ostmittel- und Südosteuropäer erfüllten.
Die Selbstbehauptung des Westens gibt es nach den Worten des R21-Vorsitzenden nicht zum Nulltarif. Das gelte sowohl für die Verteidigungsausgaben wie für die wirtschaftlichen Folgen der russischen Aggression, insbesondere in der Energiepolitik. Hier forderte Rödder eine „schonungslos selbstkritische Debatte“ über die energiepolitischen Weichenstellungen in Deutschland und empfahl, Fragen der Energieversorgung zu entideologisieren. Auch die Globalisierung gelte es einer realistischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Deutschland dürfe sich nicht „von einem vermeintlich unausweichlichen Preisdruck und möglichst kostengünstigen Liefermöglichkeiten abhängig machen“.
Verhältnis Staat und Bürger neu justieren
Um Zukunft und Wohlstand zu sichern, forderte Rödder: „Wir müssen das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern neu justieren.“ Es gelte, die Balance von individueller Selbstverantwortung und sozialstaatlicher Solidarität wiederzufinden. Diese Balance nenne man soziale Marktwirtschaft. In den letzten Jahrzehnten hingegen „haben wir eine Entwicklung hin zu einem sozial immer umfangreicher fürsorgenden, regulierenden und lenkenden Staat erlebt, der den Bürgern alle möglichen Aufgaben abnimmt“. Dies ginge nicht nur zu Lasten der Eigeninitiative der Bürger, sondern auch der wirtschaftlichen Dynamik. Innovationsfähigkeit und ökonomische Leistungskraft seien jedoch die Voraussetzungen für sozialen Frieden.
Das vollständige Interview finden Sie auf der Website der Tageszeitung DIE WELT