Der Mittelstand in den Fängen der grünen Transformation
Von Natalie Mekelburger
Wie oft habe ich Sonntagsreden von Politikern aller Parteien gehört, in denen sie sich zum deutschen Mittelstand als Rückgrat von Wirtschaft und Gesellschaft bekennen. Leider ist das politische Handeln nicht auf den Erhalt mittelständischer Unternehmen ausgerichtet. Das zeigt sich vor allem bei der grünen Transformation, die in Deutschland mit der Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende und auf europäischer Ebene mit dem Green Deal vorangetrieben wird.
Schon der Begriff Transformation ist problematisch. Nicht, weil Klimawandel und Umweltschutz keine wichtigen Themen wären, ganz im Gegenteil. Der Begriff Transformation ist problematisch, weil ihm ein dirigistisches Denken zugrunde liegt. Er steht für zerstörerische Disruption, die nicht nach den Kosten fragt. Er suggeriert, dass Politiker aktiv von oben herab „transformieren“ sollten, anstatt eine evolutionäre marktwirtschaftliche Anpassung innerhalb von Rahmenbedingungen zuzulassen.
Konkretes Ergebnis der Transformationspolitik ist eine wachsende Zahl von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften. Die Handlungsspielräume für Mittelständler werden immer enger, wir ersticken an der Bürokratie. Unternehmerischer Geist und Mut werden mit jeder neuen Regelung Schritt für Schritt ausgelöscht.
Wenn die Politik von Transformation spricht, klingt das anders. 2019 sah Frau von der Leyen im Green Deal einen “Man on the Moon Moment”. Europa würde grüne Technologien entwickeln und seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, dann würde uns die ganze Welt auf unserem Transformationskurs folgen.
Zumindest in der Automobilzulieferindustrie ist von dieser Aufbruchstimmung wenig zu spüren. Eine Mondlandung als Folge der grünen Transformation ist für die meisten Unternehmen jedenfalls nicht in Sicht. Dafür werden die Klagen und Nöte, die viele Mittelständler schon lange haben, endlich hörbar artikuliert. Einmal mehr zeigt sich, dass wirtschaftlicher Wohlstand nicht gegen die Logik der Marktwirtschaft verordnet werden kann.
Die grüne Transformation war als etatistische Gesellschaftsidee von Anfang an auf Staatsinterventionismus angelegt. Mit freier Marktwirtschaft hat diese Idee wenig zu tun, sie ist im Kern anti-marktwirtschaftlich. In der Logik der großen Transformation hat die Marktwirtschaft die Klimakrise erst verursacht, da sie mit ihrem Ziel der Gewinnmaximierung auf Ausbeutung von Natur und Mensch angelegt sei. Im Transformationsjargon wird das dann so formuliert: Die freie Marktwirtschaft überschreite die planetaren Leitplanken, verursache die globale Erderwärmung und gehöre deshalb systemisch transformiert. Nötig sei eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft, die die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft weitgehend außer Kraft setzt.
Der Begriff ökologisch-soziale Marktwirtschaft kommt zunächst unscheinbar daher. Auch viele Unternehmer und Konservative nutzen ihn. Indem sie die Sprache der Transformation sprechen, begeben sie sich aber in die Fänge einer Regelungs- und Bürokratiekrake. Sie akzeptieren die „Transformation“ als ein objektiv gegebenes Ziel, das frei jeder Kosten-Nutzen-Analyse ist. Was große Teile der Klimawissenschaft und Klimabewegung seit Jahren eigentlich im Sinn haben, ist eine Degrowth-Politik und eine Verzichtwirtschaft insbesondere für die sogenannten westlichen kapitalistischen „Sünder-Staaten“. Diese hätten ihr historisches CO2-Budget bereits aufgebraucht und müssten nun Buße tun. Dass diese Industrieländer durch ihre globalen Aktivitäten und Technologien einen ungekannten Wohlstand geschaffen, Millionen und Abermillionen von Menschen aus existentieller Not befreit und ihr Überleben gegen Krankheiten und Missernten ermöglicht haben, bleibt außen vor. Auch die Tatsache, dass entwickelte kapitalistische Gesellschaften deutlich ressourcenschonender und nachhaltiger wirtschaften, als es beispielsweise die Länder des Ostblocks getan haben, wird beharrlich ignoriert. Man will nur auf die angeblichen „Sünden“ der westlichen Länder blicken – was zu ebenso einseitigen wie unterkomplexen Forderungen führt.
So lautet die Kernaussage von „Tax the Rich“, dem neuen Buch von Till Kellerhof, dem Programmdirektor des Club of Rome: Die Reichen müssen für die Rettung des Planeten zahlen. Damit meint Kellerhof nicht Investitionen in neue Technologien, sondern in erster Linie höhere Vermögenssteuern und mehr Umverteilung innerhalb und zwischen den Ländern. Wie zusätzliche Umverteilung den weltweiten CO2-Ausstoß senken soll, weiß wahrscheinlich nicht einmal der Autor.
Nicht alle Transformatoren sind so radikal wie Till Kellerhoff oder Ulrike Herrmann, doch sie alle teilen den gleichen Geist: Der Staat soll im Namen der Transformation in alle Wirtschafts- und Lebensbereiche unserer Gesellschaft eingreifen können, auch in die private Lebensführung. Ähnliches gilt für Begriffe im Transformationswortschatz wie Klima-Gerechtigkeit, Lohn-Gerechtigkeit, Suffizienzwirtschaft, Diversity oder Antidiskriminierung. Unternehmer müssen über solche Stichworte in der Nachhaltigkeitsberichterstattung ihrer Unternehmen Rechenschaft ablegen. Und das nicht nur in Ländern, in denen Umwelt- und Arbeitnehmerrechte zu wünschen übriglassen, sondern auch im Hochlohnland Deutschland mit dem strengsten Betriebsverfassungsgesetz, dem höchsten Kündigungsschutz und den härtesten Umweltgesetzen.
Der Begriff der Nachhaltigkeit bekommt innerhalb des Transformationsjargons eine neue Bedeutung. Unter die neu definierte Nachhaltigkeit soll sich die Profitabilität unterordnen. So schreiben die taxonomischen Bewertungsregeln den Banken vor, die Wirtschaftlichkeit von Projekten als Kriterium bei der Kreditvergabe zurückzustellen. Damit werden die Banken zu Richtern über die Realwirtschaft. In vorauseilendem Gehorsam hat sich der Bankensektor in diese Rolle drängen lassen, statt auf die Risiken und Ungereimtheiten dieses unmarktwirtschaftlichen Ansatzes hinzuweisen. Investitionen sollen nun nach politischen Kriterien gelenkt werden, ohne dass überhaupt klar ist, was nachhaltige Produktion, nachhaltige Dienstleistungen und nachhaltige Produkte überhaupt sind.
Im Ergebnis scheint nachhaltig zu sein, was dem Zeitgeist und der dominanten Ideologie entspricht. Ein Beispiel: Das Auto. Individuelle Mobilität ist grünen Transformatoren schon lange ein Dorn im Auge, besonders wenn sie auf die Verbrenner-Technik setzt. Die Automobil-Industrie soll kein Wachstumsmarkt sein. Die Bürger Europas sollen in die kollektive Mobilität gelenkt werden. CO2-freie synthetische Kraftstoffe wurden daher in der Flotten-Emissions-Bilanz nicht anerkannt und die Anforderungen der EU7-Norm waren zunächst unerfüllbar hoch. Der Verbrenner wurde mit solchen Regeln zwar (noch) nicht explizit verboten, doch unter Androhung von Strafzahlungen als politisch missliebige Technologie diskriminiert. Ein ähnliches Schicksal droht pragmatischen Vorschlägen zur Nutzung synthetischer Gase („grünes Methan“), die nicht ins Transformationskonzept passen und daher etwa bei Förderentscheidungen systematisch benachteiligt werden.
Ein weiteres Beispiel, wie ideologisierte Debatten zu einer willkürlichen Definition von Nachhaltigkeit führen, ist die Kernenergie. Trotz ihrer hervorragenden CO2-Bilanz ist sie in Deutschland ins Visier der grünen Transformatoren geraten. Eine nüchterne Debatte über den weiteren Einsatz der Kernenergie war damit unmöglich, gute Argumente für eine Laufzeitverlängerung blieben ungehört. Es ist ein Wesenszug der Transformationspolitik, bestimmte Technologien direkt oder indirekt auszuschließen und damit den Freiraum für technologischen Fortschritt und pragmatische Lösungen unnötig einzuschränken.
Offen bleibt vor allem die Frage, wer die Kosten der Transformation tragen soll. Neueste Schätzungen gehen von Kosten der Klimaneutralität in Europa von fünf bis sechs Billionen Euro aus. Das sind Größenordnungen, die nicht nur die Vorstellungskraft, sondern auch die Zahlungsbereitschaft der Bürger übersteigen. Wenn wir von einer groben Zweiteilung der Finanzierung ausgehen, überfordern die Kosten der Transformation sowohl Privatwirtschaft als auch die öffentlichen Haushalte. Drei Fragen drängen sich auf: Sollten wir, statt immer nur ein Maximum an Transformation anzustreben, nicht besser ein Optimum anstreben? Ist es wirklich besser, Altes abzureißen, als es pragmatisch technologisch aufzurüsten? Und sollten wir nicht Klimaschutz endlich als globale Aufgabe begreifen, statt uns im nationalen Klein-Klein zu verlieren?
Statt des Staates sollte wo immer möglich der Markt mit ehrlichen Preissignalen entscheiden, wo CO2 vermieden wird. Doch der Markt bekommt durch den Green Deal wenig Raum. Das führt zu Interventions- und Förderspiralen. Die energieintensiven Unternehmen reagieren auf die mit der Transformationspolitik verbundenen Lasten mit dem Ruf nach einem Industrial Deal. Das ist zunächst eine verständliche Reaktion, die aber nicht weit genug und zum Teil auch in die falsche Richtung geht. Zwar sollen Widersprüche des Green Deals aufgelöst werden, die Grundlogik bleibt aber unangetastet. Die Rufe nach dem Staat und Subventionen sind letztlich Ausdruck von Verzweiflung. Doch die Subventionsprogramme, insbesondere für die Energiewirtschaft und die energieintensiven Unternehmen, verschlingen bereits heute Milliarden, die der Rest der Wirtschaft früher oder später wird tragen müssen. Die Politik hat sich in ein Dilemma manövriert, in dem sie entweder die Hoffnungen der energieintensiven Unternehmen auf zusätzliche Subventionen oder die Hoffnung der gesamten Wirtschaft auf weniger Lasten wird enttäuschen müssen.
Friedrich August von Hayek sagte vor 80 Jahren voraus, dass ein übergriffiger Staat geradewegs in die Knechtschaft führt. Die mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer können in Knechtschaft nicht überleben. Sie sind das Produkt und sie sind die Akteure eines wirtschaftlich und gesellschaftlich freiheitlichen Milieus.
Wir brauchen keine grüne Transformation von oben, sondern eine technologieoffene, pragmatische und marktwirtschaftliche Klimapolitik, die mit den richtigen Rahmenbedingungen grüner ist als jede planwirtschaftliche Klimapolitik. Die freien Kräfte des Marktes sind viel schlagkräftiger als sektorale CO2 Sparvorgaben, Mikromanagement durch den Staat und Degrowth-Dystopien. Leitinstrument sollte ein möglichst viele Sektoren und Länder übergreifender Emissionshandel mit einem CO2 Mengendeckel sein. Dieser sollte Verbrennerverbot, Flottengrenzwerte, Gebäudesanierungsvorschriften und die Taxonomieverordnung nicht ergänzen, sondern ersetzen. Eine konsequent marktwirtschaftliche und technologieoffene Klimapolitik kann den Mittelstand so aus den Fängen der grünen Transformation befreien.
Dieser Beitrag basiert auf dem Manuskript eines Vortrags, den Natalie Mekelburger auf dem Wirtschaftsforum Neu-Denken 2024 gehalten hat.