Dickere Bretter bohren! Wie reagieren auf erfolgreiche Populisten?
Von Dr. Nils Hesse
Im politischen Berlin steigt angesichts des derzeitigen demoskopischen Höhenflugs der AfD und der Wahl eines AfD-Politikers zum Landrat in Südthüringen die Nervosität. Wie reagieren auf den Erfolg der Rechtspopulisten? Grundsätzlich bestehen drei Optionen:
- Eine moralische, politische und rechtliche Ausgrenzung
- Eine partielle inhaltliche und politische Annährung
- Reformen an den demokratischen und marktwirtschaftlichen Institutionen.
Das Auftreten populistischer Parteien geht in der Regel auf folgende Ursachen zurück: Einen wirtschaftlichen und kulturellen Wandel sowie eine zunehmende Entfremdung der politischen, medialen und kulturellen Eliten von einer traditionellen Mittelschicht in westlichen Demokratien. Ihr Erfolg ist aus zwei Gründen ernst zu nehmen: Erstens, da Populismus eine Tendenz hat, sich zu radikalisieren und sich mit Ideologien wie dem Nationalismus und dem Sozialismus zu einer unheilvollen autoritären Allianz zu verbinden. Und Zweitens, da er als Warnsignal darauf hindeutet, dass Teile der Bevölkerung sich von den demokratischen Institutionen und den politischen, medialen und kulturellen Eliten entfremden und sich von diesen nicht ausreichend repräsentiert fühlen.
Mit der Strategie der oft moralisierenden und polemisierenden Ausgrenzung, die bis zu einem Ausschluss von Populisten und deren Anhängern aus dem öffentlichen Diskurs und – insoweit möglich – den demokratischen Institutionen führt, können Populisten allenfalls kurzfristig klein gehalten werden. Auch mit einer taktisch motivierten, partiellen inhaltlichen und politischen Annährung können Repräsentationslücken bestenfalls kurzfristig geschlossen werden. Um an den tieferliegenden Ursachen des Populismus anzusetzen, sind dickere Bretter zu bohren. Und es braucht einen langen Atem!
Das erfordert Selbstkritik, grundlegende Reformen und Offenheit für schwierige Debatten. Eine solche Strategie setzt sich nicht nur mit populistischen Stilelementen und Forderungen auseinander, sondern auch mit den grundlegenden Motiven und moralischen Grundüberzeugungen populistischer Wähler sowie mit den Schwächen der demokratischen und marktwirtschaftlichen Institutionen. Die Wahlentscheidung für Populisten wird nicht einfach als Ergebnis von Dummheit, Bösartigkeit, Falschnachrichten oder Manipulationen gesehen. Vielmehr soll die populistische Konkurrenz mit den gleichen Maßstäben gemessen werden wie nichtpopulistische Parteien, um das gegenseitige Verständnis zu erhöhen, eine offenere Diskussionskultur zu etablieren, Machtkonzentrationen entgegenzuwirken, Steuerungsüberforderungen vorzubeugen, Repräsentationslücken liberaler Demokratien zu verkleinern und um populistischen Freund-Feind-Konstrukten die Grundlage zu nehmen.
Es gibt zahlreiche Vorschläge, wie das erreicht werden kann. Sie lassen sich grob in vier Kategorien einteilen: 1. Eine offenere und ehrlichere Debattenkultur, 2. Mehr und direktere Beteiligungen der Bürger, 3. Reformen und institutionelle Arrangements, die politische und wirtschaftliche Macht beschränken und 4. ein wettbewerblicher Föderalismus.
Reformen an den demokratischen und marktwirtschaftlichen Institutionen sind weder schnell umzusetzen, noch wirken sie sofort. Änderungen an der Verfassung sind mit gutem Grund an hohe Hürden gebunden. Änderungen der Debattenkultur erfordern Verhaltensänderungen jedes Einzelnen. Gute Vorsätze geraten im konkreten tagespolitischen Diskurs oft in Vergessenheit, wenn sich die Anreizstrukturen in Medien und Politik nicht ändern.
Trotzdem: Diese Reformen sind Investitionen der Gesellschaft in die Resilienz ihrer Demokratie. Sie können eine Gesellschaft dauerhaft vor einer zu starken Polarisierung, die Politik vor einer Steuerungsüberforderung, die Verbraucher vor wirtschaftlicher Macht und die Bürger vor politischer Macht schützen.
Was heißt das nun für den Umgang mit der AfD?
Seit dem Aufkommen der AfD im Jahr 2013 haben die etablierten Parteien mit bescheidenem Erfolg verschiedene Formen der Ausgrenzungsstrategie eingesetzt. Anders als die Republikaner oder die NPD ist die AfD jedoch nicht in der rechtsextremen Versenkung verschwunden, sondern kann inzwischen auf einen festen Kern von Anhängern zählen.
Eine Fortsetzung der Strategie der undifferenzierten Ausgrenzung, der AfD-Wählerschelte und der inhaltlichen Polarisierung zwischen AfD und etablierten Parteien würde die Entfremdung weiter vorantreiben.
Mit einer partiellen inhaltlichen Annährung, etwa in der Migrationspolitik, könnte insbesondere die CDU die Lücke bei der Repräsentation konservativer Positionen nur verkleinern, wenn sie glaubhaft machen kann, diese Kursänderung dauerhaft zu vertreten. Die bereits polarisierte Debattenkultur, die in den letzten Jahren radikalisierte AfD, die Pfadabhängigkeiten in der Europa-, Energie-, Migrations- und Klimapolitik, die Uneinigkeit innerhalb der etablierten Parteien und die Abhängigkeit der Union von Koalitionspartnern aus dem linken Spektrum stehen dem Erfolg einer Annäherungsstrategie entgegen.
Bleiben die Reformen demokratischer und marktwirtschaftlicher Institutionen, die allerdings nur sehr verzögert ihre Wirkung entfalten. Die Parteien müssen auf die veränderten institutionellen Anreize reagieren und ihre Positionen und Debattenkultur entsprechend anpassen. Mehr direktdemokratische Partizipationsmöglichkeiten können beispielsweise kurzfristig die Wahlchancen der AfD erhöhen, wenn sich an der Ausrichtung der etablierten Parteien nichts ändert. Erst langfristig, wenn auch die potentiellen Anhänger der AfD das Gefühl bekommen, mit dem legitimen Teil ihrer Anliegen ernst genommen zu werden, wird ihr Vertrauen in die etablierten Parteien Stück für Stück steigen.
Den einen Königsweg im Umgang mit der AfD gibt es also nicht. Es braucht vielmehr eine kluge Kombination der drei möglichen Strategien in Form von
- einer klaren Definition und Abgrenzung von rechtsextremen Positionen, aber keiner pauschalen Ausgrenzung der AfD aus dem Diskursraum,
- unterscheidbaren Positionen der etablierten Parteien, indem a) die Union klare Alternativen zu den Positionen der „Ampel“ vertritt und dabei nicht die Positionen der AfD kopiert, sondern sich auf sich selbst und den Kern konservativ-liberaler Politik besinnt und b) die „Ampel“ sich mit bevormundend und übergriffig empfundenen regulatorischen Eingriffen und einer entsprechenden Rhetorik zurückhält,
- Reformen unserer demokratischen Institutionen und unserer Debattenkultur, um der Entfremdung von Repräsentanten und Repräsentierten entgegenzuwirken. Konkrete Vorschläge für strukturelle Reformen umfassen eine Föderalismusreform, die Verantwortung und Finanzierung zusammenbindet, schuldensensitive Mehrheitsregeln, bürokratiebeschränkende‚ One-in-One-out‛-Regeln, die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, leichterer Wechsel von der Privatwirtschaft und der Wissenschaft in die Politik oder Anpassungen des Wahlrechts und der Abstimmungsverfahren zur Bindung der Politiker an Wahlversprechen.
Dieser Text ist eine Kurzfassung. Den vollständigen Text finden Sie hier.