Foto: Denkfabrik R21

Die Selbstwirksamkeit des Souveräns wieder erhöhen

Das Gefühl, nicht handlungsfähig zu sein, empfinden Menschen als sehr unangenehm. „Wenn es einem ganzen Staatsvolk so geht, ist das verheerend“, schreibt Kristina Schröder in ihrer aktuellen Kolumne in der Tageszeitung „Die Welt“. Schließlich sei die Volksherrschaft das zentrale Versprechen der Demokratie.

Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung befürwortet die Zurückweisung illegaler Migranten – das Verwaltungsgericht Berlin erklärt diese jedoch zumindest in einem konkreten Fall für rechtswidrig.

Dass es Normen gibt, auf die der Souverän keinen Zugriff hat, sei altbewährt und richtig, schreibt die stellvertretende Leiterin der Denkfabrik R21: „Keine noch so große Mehrheit kann unveräußerliche Grundrechte entziehen oder wesentliche Strukturprinzipien unseres Staates, wie Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung, aufheben.“ Schröder ist aber überzeugt: Dass das deutsche Volk (beziehungsweise seine Repräsentanten) über eine Frage wie die Zurückweisung an Grenzen entscheiden dürfen, hätten die Väter und Mütter des Grundgesetzes für selbstverständlich befunden.

Dass ein Gericht zu einem anderen Urteil kam, lag nicht an Verfassungsgrundsätzen, sondern daran, dass Deutschland bestimmte Rechtsbereiche den europäischen Verträgen überstellt und damit der nationalen Politik entzogen hat. Dies war zweifellos eine demokratische Entscheidung – für den Souverän hat sie jedoch weitreichende Konsequenzen. Ob Verbrennerverbot oder Datenschutzgrundverordnung: Weder nationale Parlamente noch europäische Abgeordnete haben wirklich die Macht, derlei Regelungen zu ändern. „Hier liegt das alleinige Initiativrecht bei der EU-Kommission“, schreibt die ehemalige Bundesministerin.

Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Großbritannien zwingen wollte, Häftlingen das Wahlrecht zu gewähren, hat zum BREXIT beigetragen. Ein „DEXIT“ ist hierzulande noch kein Thema. „Aber auch hier fühlt sich der Wähler zunehmend machtlos“, so Schröder. Gegenüber einer EU, die einmal eroberte Rechtsgebiete nie wieder hergibt und demokratischer Kontrolle entzieht. Gegenüber Gerichten, die politische Fragen immer öfter rechtlich beantworten und damit das Recht politisieren. Und gegenüber Aktivisten, die, wie es der Rechtswissenschaftler Frank Schorkopf kürzlich in der „FAZ“ formulierte, Grund- und Menschenrechte zunehmend „zu einem Instrument neuer Wahrheitsansprüche der wenigen gegen die vielen“ machen.

Die R21-Gründerin warnt: „So entsteht Entfremdung gegenüber demokratischen und rechtsstaatlichen Entscheidungen. Wer diesen verhängnisvollen Prozess stoppen will, muss die Selbstwirksamkeit des Souveräns wieder erhöhen.

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  • Kristina Schröder

    Kristina Schröder ist stellvertretende Leiterin der Denkfabrik R21 und arbeitet als selbständige Unternehmensberaterin, Publizistin und Kolumnistin bei der Tageszeitung WELT. Von 2002 bis 2017 war die Christdemokratin Mitglied des Deutschen Bundestages. Neben ihrem Mandat schrieb sie ihre Dissertation bei dem Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter zum Unterschied zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit. Von 2009 bis 2013 war sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Danke, emanzipiert sind wir selber. Abschied vom Diktat der Rollenbilder“ lautete der Titel ihrer 2012 erschienenen Streitschrift, in der sie für eine Politik der Wahlfreiheit und des Respekt des Staates gegenüber privaten Lebensentwürfen von Frauen und Familien plädiert. Im September 2021 veröffentlichte Kristina Schröder die Essaysammlung "FreiSinnig. Politische Notizen zur Lage der Zukunft". Schröder engagiert sich ehrenamtlich in der schulischen Elternarbeit und als Botschafterin der Initiative Neue soziale Marktwirtschaft.

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