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Foto: Denkfabrik R21

Land of the Free: Das R21-Update zur Wahl in den USA

Am 5. November wählen die USA einen neuen Präsidenten. Die R21-Amerikaexpertin Sarah Pines verfolgt den Wahlkampf vor Ort und ordnet die Ereignisse für unsere Denkfabrik ein. In der zweiten Folge unserer Interviewreihe „Land of the Free“ spricht sie unter anderem über die Rolle von Tech-Milliardären und darüber, was Demokraten und Republikaner meinen, wenn sie von Freiheit reden.

Nach den Republikanern haben nun auch die Demokraten ihren Nominierungsparteitag abgehalten. Welche Unterschiede wurden erkennbar – inhaltlich und stilistisch? Welche Partei konnte mehr punkten?

Sarah Pines: Keine von beiden. Die amerikanische Gesellschaft ist in der Mitte gespalten, das hat sich auch nach den Parteitagen nicht geändert, nun liegt Harris knapp vor Trump und nicht Biden knapp hinter ihm. Der Republikanische Parteitag stand im Zeichen des Attentats auf Donald Trump; es ging um Trumps Dominanz und die Loyalität seiner Anhänger, um Kampfwillen und Slogans, um Misstrauen und innere wie äußere Feinde. Für die Demokraten war es ein Leichtes, den Kontrast zu setzten; sie inszenierten sich als Partei der Liebe für und Sorge um die Gemeinschaft in der Nachfolge Martin Luther Kings und der Suffragetten, als „Licht“ gegenüber der „Dunkelheit“ von MAGA, als „opportunity und optimism“ gegenüber Trumps vermeintlichen Rachedurst an denen, die ihm seiner Ansicht nach Übel wollen, als Garanten der Zukunft, die den regressiven Ballast des „make America great again“ abstreifen. „Let us choose the sweet promise of tomorrow over the bitter return to yesterday”, sagte Gastrednerin Oprah Winfrey. Die Demokraten zelebrierten die „Freude“, das „pluribus unum“ des Diversitätsversprechens und Amerika als Land, das nicht länger in Gewinner und Verlierer aufgeteilt ist, sondern in dem jeder Mensch einen Wert hat.

Wer ist Kamala Harris‘ Running Mate Tim Walz?

Sarah Pines: Walz stammt aus Nebraska, war 1989 kurzfristig High School Lehrer in China, zog er mit seiner Frau Gwen Whipple, ebenfalls Lehrerin, nach Minnesota und wurde Berater der Gay-Straight-Alliance-Organisation der Highschool, an der er arbeitete, leitete außerdem das Footballteam der Schule derartig erfolgreich, dass es bei den Nationalen Meisterschaften antrat. Er ist Command Sergeant Major und damit der ranghöchste Soldat, der je dem amerikanischen Kongress angehörte (von 2005-2019). Walz galt einmal als konservativer Demokrat, der das Recht auf Waffenbesitz verteidigte und den Irakkrieg kritisierte. Mit seinem Amt als Gouverneur von Minnesota – ab 2019 – kam die progressive Wende. Für den Wahlkampf wird er als „normaler“ netter Typ von nebenan und Versteher der Bedürfnisse der einfachen Leute inszeniert. Wie Biden, kritisiert er den Neoliberalismus der letzten vierzig Jahre. Das Trump-Lager bezeichnen Walz als „linksaußen“, ich würde ihn eher am linken Rand der Mitte ansiedeln, mit starken, aber auch vorhersehbaren innenpolitischen Zielen: Förderung des öffentlichen Schulsystems und freie Mahlzeiten für Schüler, „gender affirming care“, Recht auf Abtreibung bis zur 27. Schwangerschaftswoche, Legalisierung von Cannabis, Einschränkung des Rechtes auf Waffenbesitz, Kampf gegen den Klimawandel, Anhebung des Mindestlohns, Stärkung der Gewerkschaften, Senkung der Steuerlast für die Mittelklasse.

Wie fällt der Vergleich mit dem republikanischen Pendant J.D. Vance aus?

Sarah Pines: Es ist eine Jekyll-und-Hyde-Version desselben Typs. Beide Männer sind weiß und verheiratet mit Kindern. Beide entstammen der Arbeiterklasse, Walz allerdings dem „rechtschaffenen“ Flügel, ohne Drogensucht oder sonstige existentielle Exzesse, wie Vances Familie sie erlebten. Beide dienten in der US-Armee. Walz und Vance sind außerdem Swing-State Kandidaten; Vance der konservative und religiöse, Walz der progressive Vertreter des ländlichen Amerika. Um dieses Amerika werden beide im Wahlkampf werben.

Harris ist es in kürzester Zeit gelungen, die Demokraten zu euphorisieren und ein Momentum zu kreieren, das sich auch in den Umfragen zeigt. Das Trump-Lager, das sich auf den greisen Joe Biden eingeschossen hatte, sucht noch eine Antwort auf sie, oder?

Sarah Pines: Richtig. Mit Harris‘ Nominierung wurde Trump, so die mediale Darstellung, quasi über Nacht zum halb-erschlafften, Unsinn faselnden Mann, der nun kaum mehr Wahlkampf macht, sondern motzig in Mar-al-Lago Golf spielt und auf seinem X-Account mit NFT-Karten zu 99 Dollar das Stück wirbt, die sein Gesicht zeigen, während Harris und Walz die Säle füllen und echte Politik reden. Er habe sein „Mojo“ verloren, schrieb unlängst die Washington Post. Für Trump kommt es noch schlimmer: Er kann Harris nicht provozieren, wie vielleicht noch Clinton und Biden, sie weigert sich, auf seine Beleidigungen zu reagieren. Als unlängst der Sender CNN Harris bat, Trumps Bemerkung zu kommentieren, dass sie stets ihre indische Ethnie betont habe, nun aber „schwarz geworden“ sei, um einen politischen Vorteil zu erlangen, antwortete sie: „Das gleiche alte, abgedroschene Skript. Nächste Frage, bitte“. „Das war’s?“ fragte CNN. „Das war’s“, gab Harris zurück.

Obama sprach damals von “hope”, Bidens Motto war „save the democracy”…

Sarah Pines: Dann zeigten Umfragen, dass mehr Wähler Trump den Schutz oder die „Rettung“ der Institutionen zutrauten, als Biden.

Nun sprechen die Demokraten plötzlich auffällig viel von Freiheit.

Sarah Pines: „Demokratie“ ist ein abstrakter, ferner, vielleicht gar dusterer Begriff. „Freiheit“ klingt näher, optimistischer. Seitdem der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 mit einer Mehrheit von sechs zu drei Stimmen das 50 Jahre alte Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ aufhob, mit dem Frauen 1973 das in der Verfassung verankerte Recht auf Abtreibung zugesprochen worden war, begannen Demokraten, den Begriff „Freiheit“ immer öfter zu verwenden, für diese Wahlen ist er Kampfbegriff. Auf dem Nominierungsparteitag betrat Kamala Harris zu den Tönen von Beyoncés Lied „Freedom“ die Bühne, davor lief ein mehrere Minuten langes Video, das „Freiheit von Kontrolle, Freiheit von Extremismus und Angst“ versprach; das Motto des letzten Tages war „Der Kampf für unsere Freiheiten“.

Freiheit ist ein uramerikanischer Topos, den sich auch die Republikaner auf die Fahnen schreiben. Meinen die beiden Parteien dasselbe, wenn Sie das Wort benutzen?

Sarah Pines: Ja und Nein. Freiheit ist, wie Du sagst, ein überparteilicher Urwert der Amerikaner. Für beide Parteien schwingt in dem Begriff der American Dream mit und sein Versprechen der radikalen, individuellen Entfaltung. Traditionell aber und verstärkt seit 9/11 wird „freedom“ mit der politischen Rechten in Verbindung gebracht, der Irakkrieg war ein Befreiungskrieg, 2015 gründete der Rechtsaußenflügel der Republikaner den „Freedom Caucus“. Vereinfacht formuliert: Für Republikaner bedeutet Freiheit (der Religion, des Waffenbesitzes, der Meinungsäußerung) die Freiheit von exzessiven staatlichen Eingriffen, für die Demokraten soll der Staat die Freiheit des Einzelnen und der Gemeinschaft garantieren, zum Beispiel Abtreibungsrechte, Rechte von Minderheiten, das Recht gleichgeschlechtlich zu lieben und zu heiraten, von MAGA-Lügen und so fort.

Welche Rolle spielt „the Squad“ in der demokratischen Partei, die sehr weit links stehende Gruppe um Alexandria Ocasio-Cortez (AOC)?

Sarah Pines: Ich bin mir nicht sicher, bestenfalls werden sie irrelevanter, bei den Vorwahlen konnten zwei „Mitglieder“ ihre Sitze im House of Representatives nicht halten und werden nächstes Jahr nicht mit dabei sein. Auffallend ist, dass AOC medial abgetaucht ist. Vor ein paar Monaten bezichtigte sie Biden und Harris noch laut, einen Genozid zu unterstützen (Israel), jetzt unterstützt sie die Kandidatur von Harris und Walz. Die „Macht“ liegt sicherlich nicht beim „Squad“; das sieht man auch daran, wie Harris nun positioniert wird: Als Vizepräsidentin war sie so etwas wie das linke Beruhigungsmittel für Biden, nun wird sie in die die Mitte der Partei gerückt, um die Wahlen zu gewinnen.

Traditionell standen sowohl jüdische wie auch muslimische Amerikaner mehrheitlich an der Seite der Demokraten. Wird der Gazakrieg zur Zerreißprobe für die Partei? Welche Rolle spielen diese Wählergruppen im aktuellen Wahlkampf?

Sarah Pines: Das Verhältnis zu Israel ist ein Faktor, der weit über die jüdische Wählerschaft, auch über die Evangelikalen hinausgeht. Es geht insbesondere um die Rolle, die die USA für den Westen einnimmt, einnehmen wird, und welche Außenpolitik sie verfolgt. Bei den Republikanern herrscht bezüglich Israel eine einheitliche Front, bei den Demokraten nicht. Also ein sehr schwieriges Terrain für den Wahlkampf. Ich glaube nicht, dass jüdische oder moslemische Wählerstimmen einen ausschlaggebenden Einfluss auf das Wahlergebnis haben werden, eventuell wird dieser Frage etwas zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Wichtig sind und bleiben neben der Mobilisierung der eigenen Wähler die Swingstates oder Battleground-States. Ist ein US-Staat darunter, in dem diese Wählergruppen den Unterschied machen könnten? Ich glaube nicht. In Michigan gibt es offenbar viele Muslime, aber entscheiden diese die Wahl? Höchstwahrscheinlich nicht.

Was ist mit afroamerikanischen und lateinamerikanischen Wählern?

Sarah Pines: Diese sind für den Ausgang der Wahlen mit Abstand wichtiger als Juden und Muslime. In den USA ist derzeit fast die Hälfte aller demokratischen Wähler nicht-weiss, Tendenz steigend; etwa 80 Prozent aller republikanischen Wähler ist weiss, Tendenz sinkend. Kurz bevor Biden durch Harris ersetzt wurde, zeigten verschiedene von CBS News, Fox, Gallup und dem Pew Research Center durchgeführte Umfragen, dass 23 Prozent der afroamerikanischen und knapp die Hälfte der lateinamerikanischen Wähler Trump wählen könnten (2016 waren es nur 6 Prozent der Afroamerikaner und 28 Prozent der Lateinamerikaner; 2020 waren es 36 Prozent ). Mit Harris kam die dramatische Wende: eine Umfrage des Pew Research Centers vom August befand, dass 77 Prozent aller afroamerikanischen Wähler Harris wählen könnten. Für die lateinamerikanische Bevölkerung gibt es bis dato keine verlässlichen neuen Zahlen.

Die libertären Tech-Milliardäre Elon Musk und Peter Thiel unterstützen Donald Trump. Was sind deren Beweggründe? Sind das Einzelfälle oder wendet sich das Silicon Valley insgesamt von den Demokraten ab?

Sarah Pines: Trump hat im Silicon Valley immer Unterstützer gehabt, dennoch ist die Gegend fest in der Hand der Demokraten. 2020 holte Biden dort 72 Prozent der Stimmen, zentrale Funktionäre von Yahoo, Google und so fort wählen demokratisch – hier übertreiben die Medien maßlos, wie zum Beispiel The Nation mit der Headline: „Silicon Valley has been fully MAGA-pilled“. Trump wird derzeit von knapp zehn zentralen Figuren den Valley offiziell unterstützt, neben Musk und Thiel – übrigens ein guter Freund und Förderer von Vance – sind dies die Venture Capitalists Ben Horowitz, Marc Andreesen und David Sachs, die beiden letzteren setzten schon 2012 auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, außerdem noch ein, zwei Krypto-Herrscher – der von Biden ernannte Vorsitzende der Securities Exchange Commission Gary Gensler befürwortet strenge Regulatorien für den Krypto-Markt, außerdem ordnete die Biden-Regierung im Oktober 2023 die Bundesbehörden an, den „verantwortungsvollen“ Einsatz von KI zu gewährleisten; Scale-AI zum Beispiel, ein von Thiel mitfinanzierter Start Up, verkauft KI an das US-Militär; der Managing Director der Firma Michael Kratsios war Chief Technology Advisor der Trump-Regierung, Trump wiederum verspricht die Förderung von militärisch einsetzbarer KI, und so fort. Solcherlei Faktoren könnten die Hinwendung zu Trump in Teilen erklären.

Sarah Pines

Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.

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