R21 im Interview mit Eric Gujer
Herr Gujer, Sie sind in Deutschland aufgewachsen, haben hier als Korrespondent gearbeitet und bringen seit einigen Jahren eine Deutschland-Ausgabe der NZZ heraus. Wieso hat der Verlag diesen Schritt gewagt?
In der ersten Hälfte der Ära Merkel herrschte zwischen den politischen Lagern weitgehende Einigkeit. So konnte sich die Regierung bei ihrem Management der Eurokrise auf die Opposition verlassen. In der zweiten Hälfte der Ära Merkel kippte das ins Gegenteil um, in Polarisierung und Dauerempörung. Beide Entwicklungen haben meiner Ansicht nach dazu geführt, dass der aufgeklärte Diskurs gelitten hat. Sich ohne falsche Rücksichten auseinanderzusetzen und zugleich das Gegenüber zu respektieren, war einmal das Markenzeichen der bürgerlichen Gesellschaft. Das ist partiell verloren gegangen. Hier hofft die Neue Zürcher Zeitung mit der Schweizer Erfahrung der direkten Demokratie, einen Beitrag zu leisten, um diese Leerstelle zu füllen.
Claus Kleber, Ex-Anchorman des ZDF-„Heute Journal“, beklagt eine zunehmende Inhaltsleere von Politikerantworten in Interviews. Trägt die Politik die Verantwortung für den Vertrauensverlust in der politischen Kommunikation?
Vielleicht liegt es ja daran, dass sehr selbstbewusste Moderatoren ihre Gäste inzwischen kaum noch ausreden lassen. Es ist bequem, auf die Politiker zu zeigen. Die Medien sollten sich fragen, was sie selbst zu diesem Vertrauensverlust beigetragen haben. So ist es doch kein Wunder, dass Menschen aus Ostdeutschland Journalisten mit tiefem Misstrauen begegnen, wenn sie in den westdeutsch geprägten Medien vor allem als Karikatur des krakeelenden rechtsextremen und Corona-Leugners vorkommen, während ihre Lebensrealität wenig Beachtung findet.
In Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung, von Corona- und Klimakrise sieht mancher Journalist das Heil in „Haltungsjournalismus“. Ist das ein Konzept für den Journalismus von morgen?
Journalismus und Aktivismus sind einander wesensfremd. Gute Journalisten nähern sich einer Frage mit intellektueller Neugier, mit Skepsis und der Bereitschaft zu differenzieren. Aktivisten glauben zu wissen, was richtig und falsch ist, und machen im Dienst ihrer Sache keine Kompromisse. Die einen wollen die Welt erklären, die anderen wollen sie verändern. Beides geht nicht zusammen.