Der Westen steckt tief im Kulturkampf um das Geschlecht, und die zentrale, aber bis dato unbeantwortete Frage, wer in westlichen Gesellschaften als „Frau“ oder „Mann“ gelten darf und welche Implikationen eine Ausweitung oder Verengung beider Kategorien für die Rechte von Frauen und Minderheiten hätte. Dieser Geschlechts-fokussierte Kampf findet an verwobenen Fronten statt. Innerhalb des Feminismus konzentriert er sich auf die Fragen nach der möglichen oder unmöglichen Verortung von Trans-Frauen innerhalb der feministischen Bewegung. Ferner wird der Kampf um die Deutungshoheit über das „Geschlecht“ und damit zusammenhängend über die Begriffe „Frau“, „Mann“ und „Identität“ vom gesamten politischen Spektrum instrumentalisiert: Die Linke streitet mit „rechten Radikalfeministinnen“, der Kirche, und denen, die an die bürgerliche Kernfamilie glauben; die konservative Rechte mit „Progressiven“ beziehungsweise „Gender-Ideologen“. Ferner tobt ein Streit zwischen Transaktivisten und dem Konservativismus, zwischen Transaktivisten und Feministinnen der alten Schule; innerhalb der Transgemeinde als solche wird gestritten, denn auch dort gibt es konservative, progressive und „neutrale“ Flügel, lesbische Frauen zanken mit Transaktivisten, und der Feminismus als solcher ist ohnehin entzweit.
Gesellschaftlich gilt oder galt lange die Prämisse: Transgender – das Auseinanderfallen von biologischem Geschlecht und erfahrener geschlechtlicher Identität – ist eine innere, intime Realität, die die Gesellschaft akzeptieren und entsprechend danach handeln muss. In den USA ist dies nun vorbei; die neue Regierung hat den Geschlechterkampf, wie man es sehen will, beendet oder eskaliert.
Am Tag seines Amtsantritts unterzeichnete Donald Trump ein Dekret, dass die US-Regierung in ihren Einrichtungen und an öffentlichen Institutionen fortan nur noch die zwei biologischen Geschlechter «Mann» und «Frau» anerkennen werde. Ferner hält das Dekret fest, dass Männern, die sich als Frauen identifizierten, fortan der Zutritt zu «intimate single-sex spaces and activities designed for women, from women’s domestic abuse shelters to women’s workplace showers» zu verwehren sei. Die nicht ganz explizit formulierte Begründung: Die Aberkennung biologischer Gegebenheiten und die Anerkennung von Männern, die als «Frau» biologischen Frauen vorbehaltene Räume besetzten, sei ein chauvinistischer Gestus, der die Frau entwürdige und ihren Missbrauch erleichtere. Auf Dokumenten und Reisepässen ist nur noch die Angabe des biologischen Geschlechts erlaubt.
Am 28. Januar folgte das Dekret «Protecting Children From Chemical and Surgical Mutilation: fortan sollen Regierungsgelder für geschlechtsangleichende Operationen und hormonelle Behandlungen von Minderjährigen mit Pubertätsblockern, die bisher an Versicherungen, Krankenhäusern und Universitäten ausgeschüttet wurden, gestrichen werden – eine Maßnahme, die in Großbritannien bereits 2024 eingeführt wurde. Am 5. Februar, unterzeichnete Trump schliesslich, umringt von strahlenden jungen Frauen und Mädchen, ein weiteres Dekret: Transfrauen ist fortan die Teilnahme am Frauensport verboten. Hierüber gab es in der amerikanischen Gesellschaft seit Jahren Streit; Trans-Athleten besiegen nahezu immer (als Frau geborene) Athletinnen in derselben Disziplin, die neue Regierung hält fest: „ignoring fundamental biological truths between the two sexes deprives women and girls of meaningful access to educational facilities.“
Die amerikanische Gesellschaft ist gespalten. Nahezu hundert Prozent der Republikanischen Wähler begrüßen sie; am 6. März sprach sich überraschenderweise auch der Demokratische Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, gegen eine Teilnahme von Trans-Frauen am Frauensport aus. Nun ist von Verrat an demokratischen Idealen die Rede. Insgesamt ist der mediale Aufschrei und die nationale und internationale Empörung über die Geschlechterpolitik vorhersehbar und groß. Zentren für LQBTQ+-Rechte, Interessenverbände, Menschenrechtsgruppen klagen gegen die Dekrete der Trump-Regierung, in verschiedenen Bundesstaaten stoppen Bundesrichter vorübergehend alle oder ausgewählte Maßnahmen, der langfristige Ausgang des Streits um das Geschlecht ist noch offen.
Die in der Biologie geläufige Definition des weiblichen Geschlechts, beziehungsweise der als Frau geborenen Frau: sie haben zwei X-Chromosomen, sowie die primären Geschlechtsorgane Gebärmutter, Eierstöcke und Vagina. Der als Mann geborene Mann hat ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom, sowie die primären Geschlechtsmerkmale Penis, Hoden und Samenleiter.
Demgegenüber ist die große Schwäche der Transgenderbewegung ihr Gesinnungs-Charakter: Frau (Mann) ist, wer sich als Frau (Mann) fühlt. Dass ein biologischer Mann, der sagt, er sei eine Frau, auch wirklich eine Frau ist, wissen wir nur von diesem Menschen selbst. Geschlecht wird als Gefühl, als subjektiv gelebte Erfahrung begriffen. Letztlich ist dies eine Ideologie, die versucht, sich die Aura der Wissenschaftlichkeit zu verleihen, dabei aber immer wieder versagt, versagen muss.
Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau, schrieb die Feministin Simone de Beauvoir in dem wegweisenden Buch «Das andere Geschlecht» (1949). Auf diesen, heute im Zusammenhang mit dem geschlechterideologischen Kulturkampf inflationär gebrauchten Satz gründete die in Berkeley lehrende Philosophin Judith Butler ihre berühmte Gendertheorie, die, missinterpretiert und verzerrt, zur Grundlage der Transgenderbewegung wurde. Doch Simone de Beauvoir war konservativ, nichts in «Das andere Geschlecht» verneint die körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau. De Beauvoir schreibt: «Die Geschlechtertrennung ist (…) eine biologische Gegebenheit». Zwischen dieser «Natur» der Frau und ihrem «Willen» herrscht ein dialektisches Spannungsverhältnis: die Frau wird biologisch als Frau geboren, dann wird sie, was ihre Rolle in der Gesellschaft angeht, die konventionelle oder unkonventionelle Frau, die sie sein möchte. Dem Mann kann sie sich annähern, aber nicht, um Mann zu werden, sondern als seine in jeder Hinsicht gleichwertige Kameradin.
Als wäre der Kulturkampf ein Streit um einen alten, schönen Baum, an dem alle zerren und rupfen. Unlängst wurde er gefällt. Die ihn gefällt haben, bereuen es vielleicht, die dabei zusehen mussten, eilen herbei und nehmen Zweige und Äste und stecken sie in die Erde, vielleicht wächst er ja wieder, der Baum. An diesem Punkt steht die amerikanische Gesellschaft vielleicht: ist die Rückkehr zum, bewährten Alten möglich? Es ist eine Frage von geradezu geschichsphilosophischen Dimensionen. Aber so ist unsere Gegenwart.
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Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.
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