„Kein Autobauer will politisch anecken“
Ex-VW-Chef Müller über Marketing, das Verbrenner-Verbot und die Autoindustrie
München – Von 2015 bis 2018, direkt nach dem Dieselskandal, war Matthias Müller Chef des Autobauers Volkswagen. Schon damals war er dafür bekannt, in politischen Fragen kein Blatt vor den Mund zu nehmen – was ihn am Ende wohl auch seinen Job gekostet hat. Heute engagiert sich das FDP-Mitglied in der konservativen Denkfabrik R21. Dort äußert er sich auch zu Themen wie der Zukunft der deutschen Autoindustrie.
Herr Müller, Deutschland hat sich beim Verbot des Verbrenners lange quer gestellt. Nun sollen nach 2035 neue Verbrenner zugelassen werden, sofern sie mit e-Fuels betankt sind. Hat Verkehrsminister Volker Wissing erreicht, was sich die Autobranche insgeheim wünscht?
Die Diskussion gibt es in Europas Autoverband ACEA seit 2015. Seit damals hat das ACEA-Präsidium ein Verbrenner-Verbot abgelehnt. Die Meinung von ACEA und dem deutschen VDA war immer, dem Kunden technologieoffene und pragmatische Lösungen anzubieten.
Es heißt oft, dass die Autoindustrie gar nicht wollte, dass ihr Parteikollege Wissing das Verbrenner-Verbot verhindert. Ist das so?
Diese Behauptung ist falsch. Die Autoindustrie wird in Europa vom ACEA und in Deutschland vom VDA repräsentiert; Einzelmeinungen mögen populär, aber nicht relevant sein. Versetzen wir uns doch mal in die Rolle eines CEO der Autoindustrie: Pro Jahr werden weltweit 80 bis 100 Millionen Fahrzeuge verkauft – der Großteil Verbrenner. Nie und nimmer werden verantwortungsbewusste Manager diese Märkte aufgeben, nur weil grünorientierte Symbolpolitik in Deutschland das fordert.
So hat das aber kein einziger Firmenchef eines Autokonzerns in Deutschland zuletzt gesagt.
Auch das ist nicht korrekt. Wie schon gesagt: Die Verbände, aber auch Marken wie BMW und Toyota, haben sich immer für Technologie-Offenheit ausgesprochen.
Die Branche hat öffentlich nicht gegen das Verbot protestiert. Weshalb?
Grüne Symbolpolitik beeinflusst leider auch das Marketing vieler Unternehmen. Man will politisch nicht anecken – das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Aus eigener Erfahrung?
Na ja, in meiner aktiven Zeit habe ich mehrfach zu politischen Fragen Stellung bezogen, um der industriefeindlichen Entwicklung unserer Marktwirtschaft entgegenzuwirken. Meinem Aufsichtsrat hat das nicht immer gefallen.
Auch heute ecken Sie damit an, dass Sie sich gegen das Verbrenner-Verbot aussprechen.
Kurz zur Einordnung: Ich habe nichts gegen Elektro-Autos – ich fahre selbst eines. Aber ein von der Politik vorgeschriebenes Verbrenner-Aus ist umweltschädlich und birgt Gefahren für unseren Industriestandort.
Welche denn?
Wir sind weltweit führend in der Verbrennertechnologie. Geben wir sie auf, wird die Entwicklung von Verbrennermotoren dorthin gehen, wo Bedarf ist: ins Ausland. Die Hersteller aus China warten schon darauf, die Technik aufzukaufen und sie werden mit Freude diesen Teil des Weltmarktes übernehmen. Außerdem ist das ganze Verbot widersprüchlich.
Wieso?
Es geht im Grunde doch gar nicht um den Verbrenner. Es geht um den fossilen Kraftstoff, der ersetzt werden muss, weil er umweltschädlich ist. Lässt man E-Fuels endlich zu, könnten auf einen Schlag alle 45 Millionen Bestands-Pkw in Deutschland und 300 Millionen in der EU umweltfreundlich betankt werden. Das geht mit den jetzigen Motoren und das Tankstellennetz dafür ist auch da.
Energetisch ist das aber nicht effizient, weil die Herstellung der E-Fuels so viel Energie braucht.
Heute vielleicht. Aber warum sollen Mineralölkonzerne in Entwicklung und Produktion von E-Fuels investieren, wenn sie nicht anerkannt sind? Hinzu kommt: Derzeit behandeln wir Wasserstoff wie Champagner, weil wir ihn nur als „grünen“ akzeptieren, also wenn er aus erneuerbaren Energien hergestellt ist. Man könnte aber auch alternativen Wasserstoff herstellen, zum Beispiel mit Strom aus Kernkraftwerken.
Sie hatten vorhin gesagt, das Verbrenner-Verbot sei schlecht für Deutschland, weil deutsche Hersteller hier führend bei der Technik sind. Die scheint aber gar nicht mehr so wichtig für die Zukunft. Der E-Auto-Pionier Tesla ist an der Börse jedenfalls längst ein Vielfaches von VW wert.
Alle mit der Börse Vertrauten wissen: Tesla ist über- und Volkswagen unterbewertet.
Sie hatten Tesla-Chef Elon Musk mal einen „Ankündigungsweltmeister“ genannt. Würden Sie das auch heute noch so sagen?
Tesla hat ein Kompliment verdient. Marketing und mit Einschränkungen die digitale Funktionalität verdienen Anerkennung.
Batterie-Fahrzeuge sind also auch Ihrer Meinung nach die Zukunft?
Alternativen Antriebskonzepten, unter anderem den batteriegetriebenen, gehört die Zukunft – kein Zweifel. Je praktikabler sie werden, desto mehr Kunden werden sich auf sie einlassen. Aber ziel führend ist eine technologieoffene Zukunft.
Werden deutsche Hersteller am Automarkt weiter an Gewicht verlieren?
Konkurrenz belebt das Geschäft. Chinesische Hersteller werden ihren Weg machen. Wettbewerber wie BYD bauen schon länger gute Autos, hatten aber global Probleme in ihrem Verständnis zu Marketing und Vertrieb. Seit zunehmend Europäer für diese tätig sind, ändert sich das.
Bedeutet der immer größere Erfolg chinesischer Hersteller den Anfang des Endes für die deutsche Autoindustrie?
Solche Situationen gab es in 100 Jahren Autoindustrie immer wieder. Wir Europäer haben dem Ansturm der japanischen Autoindustrie in den 80/90er-Jahren standgehalten. Und auch diesmal wird die Transformation gelingen.
Auch beim Suchen neuer Märkte, Stichwort: China-Abhängigkeit?
Das politische Umfeld darf in China nicht ignoriert werden. Aber eine Aufgabe dieses Marktes würde in die Bedeutungslosigkeit führen.
Einige Politiker fordern, dass VW & Co. künftig nicht mehr in China investieren sollen.
Leider ist der Dialog zwischen Politik und Autoindustrie nach dem Diesel-Skandal erkaltet. Das hat zur Folge, dass die Ministerien den Sachverstand der Verbände ignorieren und sich in einem Wirrwarr von Zuständigkeiten verheddern. Japans Autoindustrie hat ein Ministerium als Ansprechpartner, das MITI, die deutsche fünf.
Ist das der Grund, weshalb in Deutschland vieles langsamer läuft als geplant?
Was ich kritisiere, ist die Zeitvorgabe. Der Aufbau von Ladepunkten ist ein Beispiel, die Bereitstellung von Trassen und Speichern, um Dunkelflauten zu kompensieren, ein anderes. Ziele müssen verabredet, nicht gesetzt werden und man muss auch mal innehalten und prüfen, ob sie erreichbar sind. Im Übrigen rächt sich, dass wir mit der Kernkraft eine umweltfreundliche Stromquelle aufgeben. Die Konsequenz wird leider sein, dass wir 2035 immer noch Kohlestrom und in der unmittelbaren Nachbarschaft eingekaufte Atomenergie verbrauchen.
Das Interview führten Georg Anastasiadis und Andreas Höß. Es erschien in der Wochenendausgabe des Münchner Merkur am 1./2. April 2023.