Trump 2.0
Der Text wurde erstmals am 18. Januar 2025 in der NZZ veröffentlicht.
Schon vor dem Amtsantritt hat der designierte US-Präsident Donald Trump mehr verändert als manche gesamte Präsidentschaft. Europa jedenfalls ringt nach Luft: Mark Zuckerberg beendet die Faktenprüfung auf Facebook. In der Tat: Damit öffnet er das Feld für fake news. Wie objektiv aber waren die Faktenchecks? Als X noch Twitter hieß, wurde dort die Aussage gesperrt: „Nicht alle Frauen menstruieren, aber nur Frauen menstruieren.“ Das war nichts anderes als woke Zensur.
Jetzt schaffen nicht nur Zuckerberg, sondern auch Ford, McDonalds und Walmart die firmeninternen Programme für Diversität, Gleichstellung und Inklusion ab. DEI (Diversity, Equity, Inclusion) ist zur Ikone jener Wokeness geworden, gegen die Republikaner seit Jahren zu Felde ziehen. Ihre Abschaffung ist ein Akt des kapitalistischen Opportunismus – ebenso wie ihre Einführung eine Verbeugung vor dem Zeitgeist war, als er noch woke wehte.
Dieser Opportunismus zeigt, wie wichtig der politisch-kulturelle Rahmen dessen ist, was allgemein als falsch und richtig gilt – denn Menschen fügen sich in diesen Rahmen ein, weil sie sich nicht isolieren wollen. „Kulturelle Hegemonie“ hat dies der italienische Marxist Antonio Gramsci genannt. Sie entscheidet, was gemacht wird, noch bevor im Parlament abgestimmt wird. Kultur ist nicht Schaum auf der Welle, sondern die Tiefenströmung, auf der die Welle geht.
Nach dem Crash von 2008, mit dem der Neoliberalismus als politisch-kulturelles Paradigma an Glaubwürdigkeit verlor, gewann die woke Kultur des Regenbogens die Oberhand in den Deutungskämpfen westlicher Gesellschaften. Sie entschied über Einschluss und Ausschluss: Wer als „Klimaleugner“, „transphob“ oder „Rassist“, als „Menschenfeind“ oder als „rechts“ galt, war draußen.
Mit der „Zeitenwende“ von 2022 und dem Anschlag der Hamas von 2023, der gerade in Deutschland die antisemitischen Folgen unregulierter Migration deutlich gemacht hat, ist diese kulturelle Hegemonie des Regenbogens gekippt. Und nichts verkörpert diesen Paradigmenwechsel mehr als die Wiederwahl von Donald Trump im November 2024. Der Umschwung reicht vom Silicon Valley bis zum Rust Belt und von der Wall Street, wo J.P. Morgan aus der Klimaallianz aussteigt, bis nach Europa: „Sono una donna, sono una madre, sono cristiana“, bekennt Giorgia Meloni statt queerer Wokeness, in Österreich scheitert die Allianz gegen die FPÖ, und in Deutschland inszeniert sich die AfD im Bunde mit Elon Musk als Vorreiter der Bewegung.
Das Pendel schwingt nach rechts – und die entscheidende Frage ist: Lässt es sich in einer gemäßigten rechten Mitte abfangen, oder schlägt es ins andere Extrem aus?
Nach europäischen Maßstäben ist klar, wo die Regierung Trump zu verorten ist. In der Tat drohen die USA – Ironie der Geschichte – zum Totengräber der liberalen Ordnung werden, nach innen und nach außen: Elon Musk unterstützt möglichst rechtsextreme Parteien in Europa, und Trumps Andeutungen, den Panama-Kanal oder Grönland notfalls auch mit Gewalt zu nehmen, widersprechen den elementaren Grundsätzen, für die der Westen die Ukraine gegen das militant imperiale Russland unterstützt. Zugleich spricht manches dafür, dass Trump eine Bewegung in die verfahrene Kriegssituation im russischen Krieg gegen die Ukraine bringen könnte, die Putin mit der Androhung einer Eskalation zu ernsthaften Verhandlungen zwingt. Jedenfalls hat seine harte Ansage an die Hamas in Gaza mehr bewegt, als es die Regierung Biden seit dem 7. Oktober 2023 vermochte.
Die Regierung Trump wird disruptiv und unberechenbar sein. Das eröffnet Chancen und Risiken – und wird erhebliche Auswirkungen auf Europa haben. Europa tut daher gut daran, sich nicht pauschal zu empören und moralisch zu überhöhen – und Trump ernst, aber nicht wörtlich, statt ihn wörtlich, aber nicht ernst zu nehmen.
Zugleich sollte es den USA als selbstbewusster, konstruktiver Partner begegnen. Europas historische Errungenschaft ist der kooperative Nationalstaat – der Preis dafür war ein globaler Bedeutungsverlust. Dieser ist freilich kein Naturgesetz. Was Europa braucht, ist seriöse, koordinierende Führung, die vor allem aus den entscheidenden Hauptstädten kommen muss. Wie sagte der polnische Außenminister Radosław Sikorski: „ich fürchte deutsche Macht weniger als deutsche Untätigkeit.“ Das ist es, was bei den deutschen Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 auf dem Spiel steht – nicht nur für Deutschland, sondern für Europa.