Bürgerliche Politik an der Seite Israels
Der neue Geschäftsführer der Denkfabrik R21 im Gespräch über seine Israelreise.
Herr Hagen, Sie waren jüngst in Israel. Was war der Anlass der Reise?
Es handelte sich um Delegationsreise, die von Elnet organisiert war. Das ist eine NGO, die den Austausch zwischen europäischen Ländern und Israel fördert. Teilnehmer waren deutsche und britische Politiker.
Welche Stationen hatte die Reise?
In Jerusalem waren wir unter anderem in der Knesset und im Außenministerium, haben dort mit Politikern und Diplomaten gesprochen. Israel ist ja eine sehr lebendige Demokratie, aber in den Gesprächen mit Oppositionspolitikern habe ich gemerkt: Der 7. Oktober hat das Land zusammengeschweißt, Parteipolitik tritt zumindest vorübergehend in den Hintergrund.
Wir haben auch Orte des Grauens besichtigt: Das Nova Festivalgelände, wo während des Massakers am 7. Oktober rund 350 junge Menschen ermordet wurden, die friedlich feiern und tanzen wollten. Im Kibbuz Be’eri, wo palästinensische Terroristen ganze Familien abgeschlachtet haben, wo gefoltert, verstümmelt und vergewaltigt wurde. Wir standen im Haus von Vivien Silver, einer Friedensaktivistin, die sich ihr Leben lang für die Verständigung zwischen Juden und Arabern engagiert hatte. Sie ist in diesem Haus verbrannt.
Ahmad Mansour hatte diese Orte besucht und davon gesprochen, er bekäme diese Bilder nicht wieder aus dem Kopf. Wie war ihr Eindruck? Lässt sich sowas überhaupt in Worte fassen?
Es ist ein großer Unterschied, ob man nur die Zahlen, Daten und Fakten kennt oder ob man all diese Dinge vor Ort sieht, sich mit Betroffenen unterhält, ihre Geschichten hört und die Namen der Opfer. Besonders bewegend fand ich Begegnungen mit verwundeten Soldaten im Sheba Krankenhaus in Ramat Gan oder mit den Angehörigen von Geiseln in Tel Aviv. Wir saßen einer Mutter gegenüber, deren 27jährige Tochter seit sechs Monaten in der Gewalt der Hamas ist, irgendwo im Gazastreifen. Man möchte sich gar nicht ausmalen, was für ein Martyrium dieses Mädchen durchmacht. Die Vorstellung, es wären die eigenen Kinder, denen das widerfährt, ist für mich als Vater kaum zu ertragen.
Die Hamas terrorisiert Israel ja seit vielen Jahren mit Raketen, aber der 7. Oktober hatte eine andere Dimension. Der größte Massenmord an Juden seit dem Holocaust. Sadistische Barbarei. Eltern, die bis heute bangen, ob sie ihre Kinder je lebend wiedersehen. Ohne all das lässt sich nicht verstehen, was aktuell im Gazastreifen passiert.
Wird das in Deutschland so erkannt?
Ich glaube, diese Empathie für das, was die Menschen individuell, aber auch was Israel als Gesellschaft kollektiv am 7. Oktober erfahren hat, die fehlt ein Stück weit in Deutschland. Man sieht furchtbare Bilder aus dem Gazastreifen, das Leid der Menschen dort kann ja niemanden kalt lassen – aber viele vergessen, was die Ursache dieses Krieges ist. Dass er notwendig ist, um die Geiseln zu befreien und die Hamas militärisch zu zerschlagen, die sich heimtückisch hinter Zivilisten verschanzt. Israel kann nicht zulassen, dass so etwas wie am 7. Oktober nochmal passiert – kein Staat könnte das.
Wie geht Israel als Staat damit um? Man führt einen Krieg gegen die Hamas? Wie gehen die Menschen vor Ort damit um? Bei allem Wunsch nach Vergeltung, ist die Realität, dass man dort mitten im Krieg lebt.
Ja, sie leben im Krieg. Mehr als 200.000 Israelis sind Binnenflüchtlinge, sie mussten ihre Häuser verlassen und können bis heute nicht zurückkehren. Das betrifft nicht nur den Süden, also die Ortschaften rund um den Gazastreifen, sondern auch den Norden. Man vergisst zu leicht, dass auch die Hisbollah vom Libanon aus regelmäßig Raketen auf Israel schießt.
Allgemein merkt man aber die Resilienz der israelischen Bevölkerung. Man lässt sich die Lebensfreude nicht nehmen. Das ist etwas, was dieses Volk auszeichnet. Die Menschen in Israel leben ja seit Beginn der Staatsgründung unter einer existenziellen Bedrohung. Unzählige Kriege sind ihnen aufgezwungen worden, von daher ist es für sie keine vollkommen neue Situation, mit der Bedrohung und mit kriegerischen Auseinandersetzungen zu leben.
Bilder aus Tel Aviv zeigen das Leben in einer normalen Großstadt.
Die Menschen spielen Volleyball am Strand. Das Nachtleben pulsiert. Man sieht zwar überall Poster und Aufkleber, die an das Schicksal der Geiseln erinnern. Man sieht improvisierte Mahnmale für die Ermordeten. Der 7. Oktober und der Krieg im Gazastreifen sind präsent, aber das Leben geht weiter.
Zurück nach Deutschland. Wie gehen die Israelis mit Nachrichten aus Deutschland um, wenn sie Filme aus deutschen Großstädten, in denen antisemitische Parolen gebrüllt werden?
Zunächst einmal erkennen die Israelis an, dass Deutschland neben den Vereinigten Staaten zu den Ländern gehört, die sie politisch am meisten unterstützen. Etwas anderes ist dann das, was teilweise auf den Straßen oder an Universitäten zu sehen ist. Da merkt man: Die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson ist kein gesellschaftlicher Konsens. Zwei Gruppen stechen negativ heraus: Auf der einen Seite linke Eliten aus dem akademischen Umfeld und dem Kulturbetrieb. Und auf der anderen Seite muslimische Migranten, die teilweise sehr antisemitisch geprägt sind. Dass Menschen in Neukölln den Massenmord an Juden am 7. Oktober gefeiert und freudig Süßigkeiten verteilt haben, war erschreckend.
Wenige Tage nach Ihrer Rückkehr aus Israel hat der Iran hunderte Raketen, Marschflugkörper und Drohnen auf Israel abgefeuert. Droht ein Flächenbrand?
Der Iran führt seit Jahren einen verdeckten Krieg gegen Israel. Er unterstützt alle Akteure, die in der Region zündeln: Die Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Yemen. Der direkte Angriff am vergangenen Wochenende war eine neue Eskalationsstufe. Die israelische Flugabwehr hat sich aber bewährt, 99 Prozent der Geschosse wurden abgefangen, das war eine eindrucksvolle Demonstration der israelischen Verteidigungsfähigkeit. Außerdem war Israel nicht alleine: Neben den USA und Großbritannien waren auch Jordanien und Saudi-Arabien am Abschuss iranischer Drohnen beteiligt. Dass arabische Staaten Seite an Seite mit Israel kämpfen, ist historisch. Vielleicht erleben wir den Beginn eines neuen Nahen Ostens. Die Bedrohung durch das islamistische Mulla-Regime im Iran schweißt Israel und seine ehemaligen Feinde zusammen.
Schlagen wir nun den Bogen zu R21, wo sie seit einigen Tagen Geschäftsführer sind. Wie sollte eine bürgerliche Nahostpolitik aussehen?
Bürgerliche Nahostpolitik sollte keinen Zweifel daran lassen, dass sie Israel unterstützt. Das bedeutet nicht, dass man die israelische Regierung nicht kritisieren darf. Aber unser Platz als Deutsche muss im Zweifel an der Seite Israels sein, nicht an der Seite seiner Gegner. Das gilt nicht nur aufgrund unserer historischen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk, sondern auch, weil das, was wir im Nahen Osten erleben, Teil eines globalen Kampfes radikaler Islamisten gegen den Westen, seine Werte, seine Demokratie und seine freiheitliche Lebensweise ist.
Gerade mit Blick auf den Iran braucht es einen neuen Realismus in der deutschen Außenpolitik. Da waren wir in der Vergangenheit mitunter zu naiv. Die Politik der Annäherung kann man als gescheitert ansehen. Ich glaube, man muss vielmehr die zivilgesellschaftlichen Kräfte im Iran unterstützen, die gegen dieses Regime aufbegehren. Gerade die jungen Menschen im Iran wollen sich nicht länger unterdrücken lassen. Auf sie sollten wir unsere Hoffnung setzen, nicht auf Deals mit den Mullahs.