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Die Zukunft Deutschlands als Einwanderungsgesellschaft gestalten

Zusammenfassung:

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft, deren Dimensionen und Dynamiken, Chancen und Herausforderungen von der Politik in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig berücksichtigt wurden.

  1. Wir brauchen eine Migrations- und Integrationspolitik, die zwischen den verschiedenen Migrationsformen klar unterscheidet, den Grenz- und Flüchtlingsschutz bereits auf der EU-Ebene besser ausbalanciert und die grundlegenden Regeln des Zusammenlebens in der liberalen Einwanderungsgesellschaft auf der Basis europäisch-humanistischer Werte klar benennt.
  2. Die Schule ist eine der wichtigsten Bildungs- und Integrationsräume unserer Gesellschaft. Die Gleichberechtigung aller Schüler und Schülerinnen und der Schutz vor jeglicher Ideologisierung müssen gewährleistet werden. Aus diesem Grund ist das Kopftuch bei religionsunmündigen Schülerinnen ebenso klar abzulehnen wie das Fasten muslimischer Schüler während des Ramadans. Unsere Schulen sollten auch ein Ort sein, wo ein weltoffener Patriotismus als gemeinsame Basis unserer pluralen Gesellschaft vermittelt werden kann.
  3. Der Staat – Bund, Länder und Kommunen – sollte seine Zusammenarbeit mit den Organisationen des politischen Islam beenden, da diese nicht auf Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt hinwirken. Stattdessen sollte mit säkularen demokratischen Kräften zusammengearbeitet werden.

Deutschland ist als offenes Land schon immer Start- und Zielpunkt von Migration gewesen und hat davon stark profitiert. 

In den letzten Jahrzehnten nahm Zuwanderung in das Land aus unterschiedlichsten Weltregionen in kurzer Zeit deutlich zu. Schon 2019 besaß ein Viertel aller Deutschen einen so genannten Migrationshintergrund. Bei den Kindern unter 5 Jahren sind es sogar 40 Prozent. Diese Proportionen werden zukünftig zunehmen. Verantwortlich sind die höhere Geburtenrate bestimmter Migrantengruppen, der Familiennachzug und die weitere Aufnahme von Zuwanderern vor allem aus Krisengebieten. Deutschland ist de facto eine Einwanderungsgesellschaft.

Eine hohe Diversität bringt vielfache positive Effekte, aber auch klare Herausforderungen mit sich, denen sich Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stellen müssen. 

A. Ökonomie: Deutschlands Wohlstand ist auch von der Zuwanderung von Fachkräften abhängig, doch aufgrund einer mangelnden Steuerung wandern zu wenige leistungsfähige Fachkräfte regulär und zu viele Personen von außerhalb der EU irregulär ein, die keinerlei Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen. Menschen mit Migrationshintergrund sind insgesamt seltener erwerbstätig und beziehen häufiger Transferleistungen als Deutsche ohne Migrationshintergrund. In linken Kreisen wird dies pauschal als „Benachteiligung“ oder als „struktureller Rassismus“ bezeichnet und die Verantwortung ausschließlich staatlichen Stellen bzw. der nichtmigrantischen Bevölkerung zugeschoben. Bürgerliche Politik sollte demgegenüber auch die Eigenverantwortung des Individuums betonen. 

B. Soziales Leben: Pluralistische moderne Gesellschaften besitzen starke zentrifugale Kräfte, die u.a. durch Lebensstile, Einkommensverhältnisse und Stadt-Land-Differenzen bedingt sind. Solche Unterschiede sind gesellschaftlich irrelevant, solange sich die unterschiedlichen Gruppen nicht feindlich gegenüberstehen und es Orte der Begegnung sowie einen common sense in puncto demokratische Werte und Verfahren gibt. In derzeitigen Einwanderungsgesellschaften kommt es allerdings verstärkt zu segregierten Gemeinschaften, die sich dezidiert von der übrigen Gesellschaft abkoppeln, weil sie sie ablehnen oder selbst in Teilen auf Ablehnung stoßen. Segregation kann räumliche (Straßenzüge oder Stadtviertel), ökonomische (informelle Wirtschaft) und soziokulturelle (verwandtschaftliche Netzwerke, Clane, Moscheegemeinschaften) Merkmale besitzen. Wenn diese zusammenfallen, sprechen wir von Parallelgesellschaften, die dann teilweise unkontrollierbar werden. Beispiele aus dem Ausland sind bestimmte französische Banlieues oder der Stadtteil Molenbeek in Brüssel. In Deutschland entstehen solche Strukturen u.a. im Rhein-Main-Gebiet, in Teilen NRWs, in Bremen und Berlin. 

C. Kulturelle Integration: Kulturelle Pluralisierung ist für eine Gesellschaft Bereicherung. Dies zeigt sich z. B. in Musik, Literatur, Kunst und Kulinarik. Eine Pluralität von Normen und Werten stellt allerdings Sprengstoff für den sozialen Zusammenhalt dar, insbesondere, wenn es sich um nicht mit Demokratie und Menschenrechten vereinbare Werte und Normen handelt. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist beispielsweise nicht mit der Vorstellung einer Gehorsamspflicht von Mädchen und Frauen vereinbar, die in vielen orthodox-muslimischen Gemeinschaften tradiert wird. Diese Gehorsamspflicht unter dem Deckmantel der Toleranz geschehen zu lassen, untergräbt grundlegende Werte und das allgemeine Rechtsempfinden. Migranten, die zum Teil genau wegen politisch-rechtlicher Unterdrückung oder Verfolgung aus ihrem Heimatland geflohen sind, haben die berechtigte Erwartung, dass eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft ihre Grundwerte auch konsequent verteidigt.

D. Integrationspolitik: Die hohen Zustimmungswerte der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland zu Erdogan hätten vor einigen Jahren ein Weckruf für die Politik sein sollen. Migrantische Gemeinschaften stehen allzu häufig unter ausländischem Einfluss, besonders dann, wenn religiöse und kulturelle Faktoren für die Einflussnahme genutzt werden. Einbürgerungskampagnen wirken dem ebenso wenig entgegen wie ein kommunales Wahlrecht für Ausländer. Selbst in der dritten Generation von Menschen mit Migrationshintergrund existiert oft keinerlei Identifikation mit Deutschland. Auch wenn es natürlich zahlreiche Gegenbeispiele für gelungene Integration gibt, weist dieser Befund auf grundlegende Fehler der Migrationspolitik hin.

F. Identitätspolitik: Linke Parteien und Organisationen verstärken die fehlende Identifikation von Migranten mit Deutschland durch Narrative, die den Westen als Region zeichnen, die durch Rassismus, Kolonialismus und Ausbeutung gekennzeichnet ist. Das Feindbild des „Weißen“ und besonders des „weißen Mannes“ wird in Wissenschaft und Medien häufig unkritisch verbreitet. Dies legt jedoch die Grundlage für einen neuen Rassismus gegen die gesellschaftliche Mehrheit, es fördert die Spaltung der Gesellschaft in identitäre Kleinstgruppen und begünstigt langfristig Extremismus und Gewalt. 

Aus den Befunden ergeben sich folgende Handlungsaufträge:

Migration und Integration müssen besser gesteuert und aufeinander abgestimmt werden, um positive Effekte zu verstärken und negative zu minimieren. 

A. Trennung von politischem Asyl und Einwanderung: Die faktische Vermischung von Asyl und Einwanderung sollte beendet werden. Das Recht auf Asyl bei politischer Verfolgung ist unantastbar, aber es gibt kein Recht darauf, bei politischer Verfolgung nach Deutschland einzureisen. Idealerweise sollte entsprechend Asyl außerhalb Europas beantragt werden. Ein Asylgrund kann nicht außerdem dadurch gegeben sein, dass eine Person aus einem Land stammt, in dem die Menschenrechte nicht oder nicht vollumfänglich anerkannt werden, sondern es bedarf eines Nachweises der persönlichen politischen Verfolgung.

B. Fordern und Fördern: Es kann keine einseitige Bringschuld der einheimischen Gesellschaft gegenüber Zuwanderern geben. Wer in Deutschland internationalen Schutz (Asyl im Sinne des GG, Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz) erhält oder aus anderen Gründen einwandert, muss sich zu den Werten und Normen dieser Gesellschaft bekennen und sie leben. Sonderrechte, wie sie beispielsweise muslimische Organisationen und die identitätspolitische Linke fordern, müssen konsequent abgelehnt werden. Vorhandene Förderprogramme sollten daraufhin evaluiert werden, ob sie Migranten mit Bleibeperspektive als Individuen mit all ihren Kompetenzen für ein eigenverantwortliches Leben qualifizieren.

C. Beendigung von Kooperationen mit dem politischen Islam: Muslimische Gemeinschaften stehen häufig unter ausländischem Einfluss und werden für die Einflussnahme islamistischer, nicht selten verfassungsfeindlicher Akteure in Deutschland genutzt. Dieser Zustand fördert Extremismus, ist ein Hindernis für die Integration und gefährdet die freiheitlich demokratische Grundordnung. Aus diesem Grund sollten Kooperationen mit Organisationen des politischen Islam umgehend beendet werden. Wenn möglich, sollten Gruppierungen unterstützt werden, die die Entwicklung eines liberalen deutschen oder europäischen Islam anstreben. Für den islamischen Religionsunterricht bedeutet dies, dass er in Ermangelung eines unabhängigen demokratischen Partners in alleiniger Verantwortung des Staates durchgeführt werden sollte.

D. Bildung: In sich schnell wandelnden Gesellschaften und neben immer diverser werdenden Elternhäusern müssen Kitas und Schulen die Instanzen sein, in denen Werte und Wissen vermittelt werden, die junge Menschen befähigen, als erwachsener Bürger Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen. Dem Bildungssektor kommt damit in freiheitlichen Gesellschaften eine tragende Rolle zu. Lehrkräfte benötigen klare Handlungsleitlinien durch die Kultusministerien und müssen von diesen Unterstützung erfahren. Interventionen von Eltern und Schülern gegen Lehrpläne, Lehrmethoden und Lehrinhalte (koedukativer Schwimm- und Sportunterricht, Evolutionstheorie, Antisemitismus etc.) sollten unterbunden werden. Die Gleichberechtigung aller Schüler und Schülerinnen und der Schutz vor Ideologisierung müssen gewährleistet werden. Aus diesem Grund ist das Kopftuch bei religionsunmündigen Schülerinnen ebenso klar abzulehnen wie das Fasten muslimischer Schüler während des Ramadans.

E. Kriminalität und Parallelgesellschaften: Kriminelle Clanstrukturen müssen zerschlagen werden, Parallelgesellschaften dürfen nicht geduldet, jedwede Segregation sollte durch sicherheitspolitische, stadtplanerische und bildungspolitische Maßnahmen abgebaut werden.

F. Weltoffener Patriotismus: Wer sich in Deutschland beheimaten möchte, muss wissen, womit er sich identifiziert, d.h. es braucht eine positive nationale und europäische Erzählung, die nicht nur auf das Grundgesetz und die Europäische Grundrechtecharta im Sinne eines Verfassungspatriotismus verweist. Diese Erzählung sollte eine kritische und erinnerungspolitisch sensible Sicht auf die deutsche Geschichte umfassen, aber gleichzeitig auch das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als freiheitliches, demokratisches und wertegebundenes Land in der Mitte Europas verankern. Ein weltoffener Patriotismus kann gerade auch in Krisen- und Umbruchszeiten den Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft nachhaltig stärken. 

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Susanne Schröter

Susanne Schröter ist Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Vorstandsmitglied des „Deutschen Orient-Instituts“ und Senatsmitglied der „Deutschen Nationalstiftung“. Sie ist im wissenschaftlichen Beirat der „Bundeszentrale für politische Bildung“ sowie im Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischem Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam). Des Weiteren ist sie Mitglied der „Hessischen Integrationskonferenz“, des „Dialog Forum Islam Hessen“, des „Hessischen Präventionsnetzwerk gegen Salafismus“ und der „Polytechnischen Gesellschaft“. Im November 2014 gründete sie das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ (FFGI) und ist seitdem Direktorin der Einrichtung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Islamismus und Dschihadismus; progressiver und liberaler Islam; Frauenbewegungen in der islamischen Welt; Konstruktionen von Gender und Sexualität; Säkularismus und Religion; Flüchtlinge und Integration; politische, religiöse und ethnische Konflikte.

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