Am 4. November wird in New York City ein neuer Bürgermeister gewählt. Höchstwahrscheinlich wird der 33-jährige Demokrat Zohran Mamdani gegen seinen demokratischen Semi-Konkurrenten Andrew Cuomo gewinnen, den ehemaligen Governor von New York State, der 2022 wegen Missbrauchsvorwürfen von seinem Amt zurückgetreten war. Bereits im Juli gewann Mamdani die Vorwahlen der Demokraten, doch Cuomo bleibt stur im Rennen. Beide treten gegen die hoffnungsloseste Variante an, die die Republikaner je hervorgebracht haben: den an Parkinson erkrankten Curtis Sliwa, einen rot gekleideten Mann mit rotem Barett und Gründer der in den späten Siebzigern entstandenen New Yorker Bürgerwehr Guardian Angels. New York City kennt Curtis Sliwa gut: In den Neunzigern wurde er im Auftrag der New Yorker Mafiafamilie Gotti in einem Taxi entführt und mehrmals angeschossen. Er entkam dann durch das Autofenster.
Nach drei Legislaturen demokratischer Bürgermeister – Bill de Blasio von 2014-2021 und Eric Adams ab 2022 – nun also Mamdani, Sozialist, grosse Hoffnung der Linken, und wie so viele Linke: Israelhasser. Manche sind empört, die meisten aber begeistert.
Mamdani wurde in Uganda geboren, lebte dort bis er sieben war, wuchs dann in der Bronx auf. Sein Vater ist der Autor Mahmood Mamdani und die Mutter die Filmproduzentin Mira Nair. Er setzt sich für die Fallengelassenen der Stadt ein, sagt er, die Armen in Sozialbauten, unterbezahlte Taxi- und Busfahrer, mit Mieten überforderte Geschäftsinhaber, die Zertretenen der Serviceindustrie.
Mamdani ist Abgeordneter der New Yorker State Assembly und Mitglied der Democratic Socialists of America; unterstützt wird er von den Linksaussen-Demokraten Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez. Wenn Andere ihre Kandidaturen für das Amt des Bürgermeisters sorgfältig und viele Jahre lang planen, Lebensläufe polieren, taktieren, anbandeln und netzwerken, wurde Mamdani während der COVID-Pandemie und auf dem Höhepunkt der #BlackLivesMatter-Bewegung in die Hauptarena New Yorker Lokalpolitik geschwemmt, als in den USA die neue alte Erkenntnis wieder einmal kurzfristig zum Mainstream wurde, dass Arme in Städten nicht nur krank und prekär leben, sondern dass es sich bei ihnen auch meist um people of color handelt,. Zusammen mit anderen Linksaußen-Politikern verdrängte er gemässigtere Demokraten aus ihrem Ämtern, hatte zuvor in seinem Wahlkreis Astoria in der Bronx, wo vornehmlich Migranten leben, billigere Mieten versprochen und ist vor allem in den muslimischen Gemeinden der Stadt beliebt. «Socialism won», sagte Mamdani in der Talk Show Inside City Hall des Senders NY1, nachdem er 2022 zum zweiten Mal die Kommunalwahlen in Astoria und Long Island City gewonnen hatte und in die New York State Assembly gewählt worden war: «I’m a socialist and this is a socialist campaign. (…) The crises that we’re facing right now are not simply crises of a moment or crises of the pandemic. These are crises of capitalism.»
Dann, nach dem 7. Oktober und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, nach den Campusprotesten in New York City, insbesondere an der Columbia University und an der NYU, auf denen Studierende und Universitätsangestellte Hisbollah- und Hamas-Flaggen schwenkten, für die «Freiheit» und gegen Israel protestierten, gegen white privilege und gegen die USA, kam Mamdanis Moment als antiisraelischer, dekolonisatorischer Befreier der Stadt, in der mehr Juden leben als in Tel Aviv, und die grösste jüdische Bevölkerung ausserhalb Israels.
In den Jahren vor der Pandemie war Mamdani Rapper («Mr. Cardamom») und sprach in einem Lied aus dem Jahr 2017 der Hamas-freundlichen und die Hamas finanziell unterstützenden «Holy Land 5»-Stiftung seine Liebe aus. Mamdani ist vehementer Unterstützter der Israel boykottierenden BDS-Bewegung. Während des Studiums mitbegründete er die anti-israelische Studentengruppe Students for Justice in Palestine, und als er am 3. Oktober 2025 in der Sendung The View des Fernsehkanals ABC auftrat, sprach er vom «israelischen Genozid» an der palästinensischen Bevölkerung. Im Publikum Applaus. Natürlich verdamme er die Hamas, sagte Mamdani weiter, aber dennoch: «What we see is a war crime being answered with war crimes. And what we see is, every single hour, the Israeli military killing a Palestinian child for close to two years.»
Mamdani forderte die Globalisierung der Intifada, die er mit dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto vergleicht, distanzierte sich im Juli nach massiver Kritik allerdings von seiner Äußerung. Er sei kein Antisemit, sagt Mamdani, es schmerze ihn, dass man ihn dafür hielte. Was er aber durchaus sei, sagt er: der Alptraum von Donald Trump, der Milliardäre und Lobbyisten zu höheren Steuern verpflichten, das politische und wirtschaftliche Establishment der Stadt herausfordern will.
Vizepräsident Vance unterstellt Mamdani Hass. Mamdanis implizit Trump-kritischen Tweet am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag – «America is beautiful, contradictory, unfinished. I am proud of our country even as we constantly strive to make it better, to protect and deepen our democracy, to fulfill its promise for each and every person who calls it home. Happy Independence Day. No Kings in America» – beschrieb Vance als undankbar, unpatriotisch und von Amerika entfremdet: Menschen, Soldaten «gave their life to build the kind of society where his family could escape racial theft and racial violence (…). Has he ever looked in the mirror and recognized that he might not be alive were it not for the generosity of a country he dares to insult (…) Vance bezieht sich – trotz grober Formulierung feinfühlig und scharfsinnig – auf die in Mamdanis Tweet mitschwingende Ironie: Der Bald-Bürgermeister beschreibt die USA als schönes aber unfertiges Land mit Potential, als Land, in dem die Demokratie mindestens bedroht ist, unter Trump wenn schon nicht gar in die Monarchie driftet, und in dem die Inklusivitätsversprechen der Migrationsgesellschaft eben nur Versprechen sind.
Medien sprechen von Mamdani als Legende mit Kennedy-haftem Charisma, als Zukunft der amerikanischen Politik. Durch die Stadt geht er zu Fuß, vor allem in Queens, ständig fragen PassantInnen ihn nach Selfies, immer sagt er ja. Er fordert freie Kindergärten für Kinder unter 5 Jahren, strenge Mietdeckel, freie Busfahrten für Alle – in den USA fahren vor allem die Armen Bus – Preiskontrolle in Supermärkten. Mamdani benennt in der Tat die Probleme der Stadt: zu teuer, zu gnadenlos zu denen, die wenig haben; in manchen Geschäften der Upper West Side – und nicht nur dort – kostet eine Flasche naturtrüber Apfelsaft 11 Dollar, Butter 8 Dollar, die Miete für ein 80 Quadratmeter grosses Souterrain Höhe West 100th Street und Riverside 4500 Dollar kalt. Gezahlt wird klaglos, was soll man auch machen.
Mamdanis an der radikalen Umsetzung sozialer Gerechtigkeit ausgerichteten Wahlkampf vergleichen manche mit dem Wahlkampf der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen im Jahr 2006: beide hätten wirtschaftliche Misstände und die existentiellen Ängste der Menschen ausgenutzt und mit schönen Worten zu Kaufkraft und Gerechtigkeit eine ideologische Agenda verschleiert. Der Direktvergleich Mamdani-Hamas mag übertrieben sein. Die Sorge vor einer zunehmenden Salonfähigkeit des Antisemitismus in New York City, sollte Mamdani Bürgermeister werden, ist es sicher weniger.
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Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.
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