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„Gramsci des Monats“ (1): Gleichstellung

Google ist unverändert ein Trendmesser des kollektiven Bewusstseins. Geht man also danach, wie viele Fundstellen eine Suche mit den Begriffen „Gleichstellung“ und „Gleichberechtigung“ auslöst, wird klar: Die Gleichstellung hat mit rund 7,7 Millionen Ergebnissen der Gleichberechtigung (6,2 Millionen) quantitativ den Relevanz-Rang abgelaufen.

Noch größer ist das Missverhältnis auf der Website des Bundesfrauenministeriums. Hier führen 206 Treffer zur „Gleichberechtigung“, aber fünfmal mehr Treffer (1.060) zur „Gleichstellung“.

Die Gleichstellung scheint ubiquitär: So nahm die derzeitige Familienministerin Christine Lambrecht den amerikanischen Gleichstellungs-Tag am 26. August 2021 zum Anlass, zum Thema Gleichstellung in Deutschland vor allem in der Arbeitswelt zu äußern. Am selben Tag widmeten sich zum ersten Mal auf Ebene der G20 die zuständigen Ministerinnen und Minister der Gleichstellung. Das Familienministerium hat im Mai dieses Jahres zudem eine Stiftung ins Leben gerufen – „um die Gleichstellung zu beschleunigen“. Dabei ist es die Gleichberechtigung, gleiche Rechte für Frauen und Männer, die als Grundrecht seit 1949 im Artikel 3 des Grundgesetzes verankert ist.

Ähnlich und doch sehr unterschiedlich

Gleichberechtigung – Gleichstellung: Was gleich klingt, steht für sehr unterschiedliche Gesellschaftsmodelle.

Gleichberechtigung setzt auf möglichst gleiche Voraussetzungen, die zu unterschiedlichen, ungleichen Ergebnissen führen dürfen: zu einem freiheitlichen Pluralismus, der sowohl dem bürgerlichen Gesellschaftsideal als auch dem christlichen Menschenbild entspricht. Gleichberechtigung und Pluralismus als gesellschaftspolitische Leitideen im 21. Jahrhundert setzen auf gerechte Chancen – für die alles Mögliche getan werden muss – und Voraussetzungen für Leistungsbereitschaft, auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Das kann auch bedeuten, dass man sich als Frau für einen „klassischen“ Frauenberuf entscheidet.

Gleichstellung hingegen ist ein staatsinterventionistischer Ansatz, der auf Ergebnisse zielt und persönliche Präferenzen ignoriert: eine neuständische Modellierung nach Gruppen und Quoten, die dann Diversität genannt wird.

Zur Gleichstellung und hat sich seit einigen Jahren begrifflich auch die Parität gesellt, die gleichmäßige Vertretung von Frauen und Männern in Gremien. Der Ansatz ist gleich: Regulation durch den Staat, im Falle der Parität ohne jegliche Freiheitsgrade. Nur bei einer 50:50-Verteilung gilt das Ziel als erfüllt. Erste Paritätsgesetze für Landtage sind aber bereits als verfassungswidrig abgelehnt worden. Paritäten sind aber keine Garantie für Gerechtigkeit. Denn woran sollte sich die Ausgewogenheit in politischen Gremien messen: am Anteil von Frauen an der Bevölkerung – oder ihrem Anteil an der Mitgliederschaft, weil der Eintritt in eine Partei der freien Entscheidung und keiner Diskriminierung unterliegt? Können 26,5 % der Mitglieder aufgrund ihres 50%igen Anteils an der Bevölkerung die Hälfte der Listenplätze beanspruchen? Und sollte es nicht der mündige Bürger sein, der entscheidet, welche sozialen Gruppen in unseren Parlamenten wie vertreten sind? Und wieso wird umgekehrt einer Person, die ins Parlament entsandt wurde, per se die Fähigkeit abgesprochen, den Horizont des eigenen Bewusstseins und eigenen Befindlichkeit zu verlassen und im Sinne aller zu entscheiden?

Nach alter Ungleichheit droht neue

Ein anderes Gleichstellungsinstrument ist die Quote. Sie ist das Paradebeispiel für die Janusköpfigkeit von staatlichem Dirigismus. Missstände an einer Stelle werden abgeschafft oder gemildert, aber an anderen Stellen potenziell neue geschaffen. Eine Frauenquote für Unternehmensvorstände kann dazu führen, dass eine kinderlose Unternehmertochter aus München-­Bogenhausen den Vorzug vor einem vierfachen Familienvater mit Migrationshintergrund aus Berlin-­Neukölln erhält. Ist es gerecht, wenn ein junger Mann als Mitglied eines Geschlechterkollektivs für Vorteile in Haftung genommen wird, die andere Mitglieder dieses Kollektivs tatsächlich oder vermeintlich hatten?

Wer Gleichstellung sagt und meint, damit Gleichberechtigung zu meinen, weil Begriffe doch nicht so wichtig seien, darf sich nicht wundern, wenn hinterher tatsächlich Gleichstellung praktiziert wird. Auch Begriffe prägen die Wirklichkeit. In der Politik sind sie Trojanische Pferde.

Lesen Sie hierzu auch den Beitrag Faire Chancen statt Gleichstellung >

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