Im Zweifel für die Freiheit
Dr. Kristina Schröder wirbt in einem Gastbeitrag in der Fuldaer Zeitung dafür, sich in der Politik nicht einseitig bestimmten Perspektiven oder gar Doktrinen zu unterwerfen. Neben einer umfassenden Abwägung zwischen plädiert sie für mehr Risikobereitschaft – zugunsten von Freiheit und Selbstbestimmung.
Nachfolgend der Artikel in Auszügen:
Bereits vor der Pandemie haben wir zunehmend einen Staat akzeptiert, teilweise sogar gefordert, der auch in privateste Entscheidungen erwachsener Menschen erzieherisch eingreift. Im Namen der „Gleichstellung“ werden bestimmte Konstellationen, wie Eltern untereinander Erziehungs- und Erwerbsarbeit aufteilen, als „veraltete Rollenbilder“ diffamiert. Tatsachen wie die, dass Frauen hartnäckig andere Ausbildungen und Studienfächer bevorzugen als Männer, dass sie rund um die Geburt eines Kindes stärker dazu tendieren, Berufstätigkeit zeitweise zu reduzieren, und dass sie generell oft eine andere Vorstellung von einem guten Leben zu haben scheinen, werden als „falsches Bewusstsein“ gedeutet. (…)
Eine offene Debatte über derartige identitätspolitische Dogmen ist nicht leicht. (…) Immer mehr Menschen, die zweifelsfrei auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, schrecken davor zurück, in Sachen Identitätspolitik, Migration, Islam, Klimaschutz und seit anderthalb Jahren eben auch Pandemiepolitik bestimmte Positionen zu äußern. Shitstorms, öffentliche Verächtlichmachung und Ausschluss aus dem als legitim geltenden öffentlichen Diskurs haben natürlich ihre Wirkung – man muss eine starke Persönlichkeit sein, unter diesen Bedingungen standzuhalten. (…)
In der Pandemie verstärkten sich diese Mechanismen noch einmal. Die altehrwürdige und demokratietheoretisch bedeutende Aufgabenteilung zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen Tatsachenaussagen und Werturteilen, wurde bewusst verwischt. Aus der Wissenschaft fanden nur bestimmte Tatsachenaussagen Gehör, nämlich die (einiger) Virologen, Epidemiologen und Modellierer. Psychologen, Pädagogen und Ökonomen hatten mit ihren Einschätzungen über die Folgen der Maßnahmen wenig zu melden.
Gleichzeitig überschritten einige Wissenschaftler die Grenze und stellten ihre persönlichen Werturteile, was politisch zu tun sei, als „pandemischen Imperativ“ dar. Teile der Politik griffen dies dankbar auf, verwiesen auf „die Wissenschaft“ und setzten so die harte deutsche Linie durch. Europaweit mit die längsten Schulschließungen für unsere Kinder waren die Folge, ein sprunghafter Anstieg schwerwiegender psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen bis hin zur Suizidalität ist die bittere, aber absehbare, Konsequenz.
Wollen wir eine offene und freie Gesellschaft bleiben, werden wir wieder lernen müssen, abzuwägen. Es gibt keinen risikofreien Weg. Verantwortung übernimmt nicht der, der versucht, auch noch das kleinste Risiko auszuschließen, koste es, was es wolle. Sondern der handelt verantwortungsvoll, der bereit ist, kleine kalkulierbare Risiken einzugehen, um so ein möglichst freies und lebenswertes Leben zu ermöglichen.
Zum Artikel in der Fuldaer Zeitung >
Der Artikel ist überdies Teil einer Essaysammlung, die im September unter dem Titel „FreiSinnig. Notizen zur Lage der Zukunft“ erschienen ist.