Foto: Denkfabrik R21

Leitkultur statt Stadtbild: Wo der Kanzler falsch liegt

In seiner aktuellen Kolumne in der „Allgemeinen Zeitung“ befasst sich R21-Leiter Andreas Rödder kritisch mit der „Stadtbild“-Äußerung von Friedrich Merz. Er plädiert für eine Leitkultur der offenen Gesellschaft, die nicht nach Äußerlichkeiten unterscheidet.

Bundeskanzler Friedrich Merz sprach letzte Woche im Zusammenhang mit Migration von „diesen Problemen im Stadtbild“. Daraufhin organisierten linke Gruppen Demonstrationen vor der CDU-Zentrale. Andreas Rödder sieht darin die üblichen Reflexe: „Sie reden einen Skandal herbei, um das Problem wegzureden“. Denn in deutschen Städten gebe es tatsächlich ein begründetes Empfinden schwindender öffentlicher Sicherheit und Ordnung, welches nicht zuletzt mit einer falschen Asylpolitik zusammenhänge.

„Teil des Stadtbildes sind aber auch der deutsch-türkische Gemüsehändler oder die Verwaltungsangestellte mit deutscher Mutter und Vater aus Sri Lanka, die sich mitgemeint und als Fremdkörper ausgegrenzt fühlen“, schreibt Rödder. „Das ‚Stadtbild‘ unterscheidet nicht zwischen dem Attentäter Anis Amri und meinem Freund Ahmad Mansour, dem bürgerlichsten Deutschen, den ich kenne.“

Deshalb verfehle Merz‘ Begriff vom „Stadtbild“ den Wesenskern, kritisiert der R21-Leiter: Bürgerliche Politik wolle, dass legal zugewanderte und integrierte Migranten Deutsche werden und sind. Das sei „der entscheidende Unterschied zur rechten Idee der Nation als Gemeinschaft der ethnisch Ähnlichen“, aber auch zur naiven Vorstellung eines bedingungslosen Multikulti. Das Miteinander verschiedener Kulturen in einer Einwanderungsgesellschaft sei „keine bunte Vielfaltsparty“, sondern harte Arbeit, die klare Spielregeln des Miteinanders erfordert.

Rödder plädiert deshalb für eine Leitkultur der offenen Gesellschaft. Diese „alltagskulturellen Erwartungen“ würden nicht nach Äußerlichkeiten und nicht zwischen ‚uns‘ und ‚denen‘ unterscheiden, sondern gleichermaßen für alle gelten. Dazu gehören für den Leiter der Denkfabrik R21 neben der Akzeptanz deutscher Traditionen und Bräuche auch Umgangsformen wie Höflichkeit und Respekt, Konfliktlösung durch Dialog und Kompromisse und die Achtung der Gleichwertigkeit aller Menschen – unabhängig von Geschlecht, Ethnie oder Religion.

„Eine öffentlich aktiv eingeforderte Leitkultur der offenen Gesellschaft würde ‚dieses Problem‘ nachhaltiger adressieren und mehr für die gesellschaftliche Integration leisten als ein unerklärtes Stadtbild“, so Rödders Fazit.

Author

  • Andreas Rödder

    Andreas Rödder ist Leiter der Denkfabrik R21 und Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Gegenwärtig wirkt er als Helmut Schmidt Distinguished Visiting Professor an der Johns Hopkins University in Washington. Er war Fellow am Historischen Kolleg in München sowie Gastprofessor an der Brandeis University bei Boston, Mass., und an der London School of Economics. Rödder hat sechs Monographien publiziert, darunter „21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart“ (2015) und „Wer hat Angst vor Deutschland? Geschichte eines europäischen Problems“ (2018), sowie die politische Streitschrift „Konservativ 21.0. Eine Agenda für Deutschland“ (2019). Andreas Rödder nimmt als Talkshowgast, Interviewpartner und Autor regelmäßig in nationalen und internationalen Medien zu gesellschaftlichen und politischen Fragen Stellung; er ist Mitglied im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung und Präsident der Stresemann-Gesellschaft.

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