Stellen wir uns einen Moment lag vor: Eine Gruppe fähiger Menschen, vielleicht eine Task Force, Exorzisten, Zauberer, sonstige Spezialisten, kommt und vertreibt den Wokismus ein für alle Mal aus der (amerikanischen) Gesellschaft, durchforstet Universitäten, Abteilungen und Lehrstühle – und piff, paff, der progressive Gesinnungsfanatismus ist weg, Cancelei und Zensur auch. Und je stärker wir es uns vorstellen, desto klarer wird: wir könnten nur tagträumen, der Wokismus könnte ebenso wenig aus den Köpfen verschwinden wie der dazugehörende Apparat linksprogressiver Stiftungen, Einrichtungen und NGOS. Dennoch versucht die Trump-Regierung das logistisch beinahe Unmögliche: Den Wokismus abschaffen, Diversität, Hautfarbe und Herkunft durch Leistungsprinzip und Meinungsvielfalt zu ersetzen.
In seiner Antrittsrede vom 20. Januar verkündete Trump, die künftige Regierungspolitik werde „kein Geschlecht und keine Rasse“ mehr kennen, sondern gute und schlechte Menschen, solche, die sich an Gesetze halten, oder sie brechen, solche, die Leistung erbringen, oder nicht. Dazu befahl Trump die Abschaffung aller staatlich geförderten DEI-Maßnahmen (für Diversität, Gleichstellung und Inklusion), da diese, so befanden Studien, Rassismus förderten anstatt ihn zu bekämpfen. Außerdem habe die gerade von Universitäten exzessiv praktizierte DEI-Politik Antisemitismus unter Studierenden und in der Gesellschaft produziert, die unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 an amerikanischen Universitäten, insbesondere den Ivy Leagues, ausbrechenden anti-israelischen, anti-semitischen und oftmals pro-terroristischen Proteste mitverursacht und das Ausmaß des von Universitätsleitungen geförderten Antiamerikanismus und Extremismus offenbart.
Die Campus-Proteste nahm die Regierung zum Anlass von Streichungen: der Columbia University werden staatliche Mittel in Höhe von 400 Millionen Dollar entzogen, was etwa 2.5 Prozent der jährlichen Kapitalausstattung der Universität ausmacht (14.8 Milliarden Dollar). Auch der Johns Hopkins University werden Gelder gestrichen, der Harvard University ebenso (etwa 2.2 Milliarden Dollar pro Jahr, die jährliche Kapitalausstattung von Harvard liegt bei knapp über 53 Milliarden). Wenn die Universitäten aber DEI-Massnahmen einstellten, ausserdem Campus-Proteste – insbesondere die gegen Israel – verböten, ferner, wie an der Columbia University, das Department for Middle Eastern Studies unter neue Führung stellten, so die Regierung, gäbe es weiter Geld. Ausserdem droht die Regierung verschiedenen Universitäten, diesen den Status der Steuerbefreiung zu nehmen.
Das Ende der DEI-Maßnahmen begann streng genommen bereits vor über einem Jahr, als die Universitätsleitung in Harvard in die Krise geriet. Der damaligen Präsidentin Claudine Gay war es nicht gelungen, die anti-semitischen und pro-terroristischen Campusproteste nach dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 effizient einzudämmen, sah sich außerdem mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Auch richtete sich das Augenmerk auf Gays dürftige, für eine Universitätspräsidentin inakzeptable Publikationsliste. Das Fazit: Die Präsidentin sei zu Unrecht Begünstigte von DEI-Maßnahmen. Schließlich trat Gay von ihrem Amt zurück.
Viele Universitäten, darunter Columbia, folgen derzeit den Anweisungen der Trump Regierung, nur Harvard nicht. Am Karfreitag erhielt Harvard einen ernsten und nüchternen Brief – dieser soll ausserplanmässig und verfrüht abgeschickt worden sein, doch die Inhalte stehen – mit Forderungen der Regierung an die Universität: Die Regulation der „intellectual and civil rights conditions“ in Harvard, einschließlich Verwaltung, Zulassungsverfahren, Programme und extracurricular Aktivitäten, das Verbot rassistischer und antisemtitischer Aktivitäten, das generelle Verbot der Immatrikulation ausländischer Studierender, wenn diese sich an illegalen Aktivitäten beteiligten.
Klingt für manche grob. Insgesamt aber geht es darum: Die Immatrikulation und Einstellung, so der Brief, sollen dem Leistungs- und nicht dem Herkunftsprinzip, Lehrpläne nicht länger den Guidelines gesinnungstreuer Ideologien folgen (Mikroaggressionen, Triggerwarnungen, identitätspolitische Befindlichkeiten, Safe Spaces). Studierende sollen – in einem neuen Klima der Toleranz – befreit und zensurlos lernen.
Die 1636 gegründete, älteste und prestigeträchtigste Universität der USA hingegen sieht sich von der Regierung genötigt und leistet nun Widerstand, um, so die Universitätsleitung, die akademische Freiheit und das Recht auf freie Meinungsäusserung und öffentlichen Protest zu verteidigen. Harvards Präsident Garber formulierte es in einem öffentlichen Gegenbrief so: “no government – regardless of which party is in power – should dictate what private universities can teach, whom they can admit and hire, and which areas of study and inquiry they can pursue.” Und an anderer Stelle: “The university will not surrender its independence or relinquish its constitutional rights. (…) Harvard will not accept the government’s terms as an agreement in principle.”
Dabei sind die Universitäten in den USA ideologisch außerordentlich homogen. Die «Veritas», wie Harvards Motto lautet, heisst DEI, was freilich keine Diversität der Meinungen bezeichnet, sondern die durchpolitisierte Diversität der Rassen und Sexualitäten, unter Ausschluss weisser Heteronormativität. Wenn die Regierung in ihrem Brief nun forderte,
„By August 2025, the University shall commission an external party, which shall satisfy the federal government as to its competence and good faith, to audit the student body, faculty, staff, and leadership for viewpoint diversity, such that each department, field, or teaching unit must be individually viewpoint diverse”,
dann mag die Forderung nach Standpunktdiversität einigermaßen naiv klingen. Zwei unvereinbare Weltsichten prallen aufeinander: Für die Regierung soll der Wokismus durch Leistung ersetzt werden. Für Universitäten wie Harvard hingegen ist der Wokismus die Leistung, die es zu erbringen gilt. Woke wird zwar erst dann broke sein, wenn die Worte Diversität und Inklusion alle gegenwärtigen Konnotationen verloren haben. Dennoch ist die Signalsetzung wichtig. Bei allem Widerstand wird auch Harvard es sich künftig zweimal überlegen, ob die ein oder andere DEI-Massnahme das ganze Theater wirklich lohnt.
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Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.
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