Aus Sicht der neuen Regierung unter Donald Trump verliefen die ersten beiden Monate im Amt wahrscheinlich besser als gedacht, könnten aber noch besser laufen. Aus Sicht der Opponenten dieser Regierung könnte es derzeit allerdings nicht schlimmer kommen: Nach exzessivem Wokismus nun vermeintliche Cancelei und Rachefeldzüge «von rechts». Trump bringe die Amerikaner um ihr Recht auf freie Rede, nehme Universitäten nicht nur die Akademische Freiheit, sondern auch dringend notwendiges Geld (gemäss Trumps Prämisse: Unis unterschlagen, verschwenden und missbrauchen Staatsgelder für Ideologien und antisemitische Fanatismen) und verweigere Forschern die Einreise, schicke sie knallhart in die Heimat zurück, anstatt ihnen «due process» widerfahren zu lassen. Weder die Medien, noch die internationale Berichterstattung nennen das Kind beim Namen: Die jüngst entweder ausgewiesenen oder in Untersuchungshaft festgehaltenen Akademiker unterstützen explizit die in den USA verbotene Terrororganisation Hamas. Die libanesische Ärztin, der in Boston die Wiedereinreise verweigert wurde, hatte im Libanon der Beerdigung des von Israel getöteten Hamas-Chefs Yahya al-Sinwars beigewohnt. Dieser sei ein wahrer spiritueller Führer gewesen, sagte Dr. Alawieh dem Grenzbeamten laut eines CNN-Berichts, das verstehe nur keiner.
Womit Dr. Alawieh wohl Recht hat: so etwas soll auch nicht verstanden werden. Was aber auch fast niemand sehen möchte: Die hysterische nationale wie internationale Berichterstattung liegt falsch, die Demokratie wird in den USA derzeit nicht zerstört. Auch ist die Trump-Regierung weit davon entfernt, das umzusetzen, was sie erreichen will. Es wird keinen kompletten Neustart des Systems geben, keine Umwertung aller Werte, dazu wäre nichts von dem, was derzeit passiert, radikal oder visionär genug. DEI-Programme zu streichen, war überfällig und ist für alle erleichternd, aber nicht besonders «wild» oder «revolutionär».
Neben der Eskalation oder der Beendigung des Kulturkrieges um Geschlecht und Diversität soll Bürokratie abgebaut werden, um Staatsgelder zu sparen. Drain the swamp, war Trumps Ankündigung an den Deep State: bürokratische Verschlackungen lösen, überflüssige Vorschriften und unnötige Staatsausgaben streichen, Veruntreuung von Staatsgeldern zurückverfolgen und ahnden. Hier versucht DOGE Effizienz und Effektivität herzustellen: Das Zerschmettern der Entwicklungshilfebehörde USAID, die geplante Schließung des Bildungsministeriums, die Entlassung tausender Angestellter, deren Verträge teilweise ohnehin auf Probezeit liefen. Für das Gesundheitsministerium plant Robert F. Kennedy Ähnliches. DOGEs Website gibt an, bisher etwa 130 Milliarden Dollar eingespart zu haben, pro Steuerzahler sind das etwa 807 Dollar.
Die linksprogressive Welt ist in Aufruhr und der Linksaußen-Flügel der Demokraten, genauer Senator Bernie Sanders und Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez touren auf der Fighting Oligarchy-Tour durch die USA. Unlängst kleideten sich protestierende Demokraten in Hühnerkostüme, um den republikanischen Abgeordneten James Comer aus Kentucky zu einer Pressekonferenz zu bewegen, auf der er Trumps angeblich miese Politik kommentieren sollte. Comer weigerte sich und bemerkte kühl, er “halte keine Therapiesitzungen für linke Aktivisten, die unter einer Trump-Störung leiden”.
Doch «Macht» tropft nicht von oben nach unten, nicht aus dem Weissen Haus in die Gesellschaft hinein. Die «Macht» wird auch nicht besser oder gerechter, wenn sie divers oder monochrom daherkommt. In seinem wegweisenden Buch «Dispositive der Macht» beschrieb Michel Foucault Macht als ein Ensemble aus Sprache, Institutionen, administrativen Massnahmen und wissenschaftlichen Aussagen. Anders formuliert: Macht braucht Visionen, um sich zu erhalten.
Nur, weil der Wahlsieger die Negativ-Erwartungen des Wahlverlierers übertrifft, heisst es nicht, dass der Sieger tatsächlich die Erwartungen übertrifft. Zwar lässt sich der zweite Trump, anders als Trump Nummer eins, von Presse, Justiz und Opposition nicht oder kaum mehr beeindrucken. Doch bleibt abzuwarten, ob es reicht, von seinem Vorgänger einen maroden Laden zu übernehmen, die Hälfte des Inventars rauszuschmeissen – und die Regalbretter bleiben fortan leer. Wenn die derzeitigen Schliessungen, Streichungen, Entlassungen nicht von längerfristigen Planungen oder Ideen begleitet werden, was eigentlich passieren soll, nachdem alles andere weg ist, dann ähneln sie höchstens hysterischen Razzien, die zwar Chaos und Unsicherheit schüren, nicht aber für effiziente Politik stehen.
Fortführen, indem Existierendes so bleibt wie es ist, oder reformiert wird, um effizienter zu werden, Unnützes abschaffen, aber auch: Neues schaffen. Was kommt nach der United States Interagency Council on Homelessness, oder der Minority Business Development Agency, und vor allem: Was kommt nach dem Bildungsministerium? Welche Curricula hat die Regierung im Sinn, welche Lehrer, welche Programme? Derzeit ist bis auf Tautologien (make bureacracy efficient) und Emoji-haftes Rauschen (America First) nichts zu vernehmen.
„My name is Ozymandias, king of kings, look on my works, ye mighty, and despair!“, steht auf dem Sockel einer zerbrochen Statue in Pery Bysshe Shelleys Gedicht über die Vergänglichkeit der Macht. „Aus Zweifel und Finsternis ritt er, singend / Mit blankem Schwert in der Morgensonne. / Hoffnung erweckte er, fiel voller Hoffnung“, singt der Barde Gleowine in Tolkiens „Der Herr der Ringe“ über einen alternden König, der Macht an die Falschen abgibt und seine eigene darüber verliert. DEI hatte sich selbst überholt, noch bevor Trump zum zweiten Mal Präsident wurde. Vielleicht überholt Trump sich, noch bevor seine letzte Regierungszeit endet.
Author
-
Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.
Alle Beiträge ansehen