Zwischen Covid und Klima: Kristina Schröder warnt vor Bevormundung der Bürger
Was darf der Staat den Bürgern bei der Klimapolitik vorschreiben? Ex-Ministerin Kristina Schröder sorgt sich – und hofft auf Lehren aus der Corona-Politik.
München – „Deutschland zwischen Covid und Klima – Grundrechte unter Vorbehalt?“ – so lautet das Thema einer Tagung, die im September in Berlin stattfindet. Die Besetzung ist hochkarätig: vom Verfassungsrechtler Hans-Jürgen Papier, den Schriftstellerinnen Thea Dorn und Juli Zeh, dem Virologen Klaus Stöhr, dem Journalisten Heribert Prantl bis zum sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Eingeladen hat die konservative „Denkfabrik R21“, deren stellvertretende Vorsitzende die Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ist. Ein Gespräch mit der Ex-Politikerin über Grundrechte in Krisenzeiten.
Nach Corona: Was darf der Staat den Bürgern vorschreiben, Frau Schröder?
Die meisten Menschen haben das Thema Corona verdrängt – Sie veranstalten noch mal ein eigenes Symposium. Warum?
Schröder: Ich wundere mich über diese Verdrängung. Wir haben es mit den mit Abstand schwersten Grundrechte-Einschränkungen seit Bestehen der Bundesrepublik zu tun. Diese Einschränkungen wirken bei vielen noch sehr stark nach. Denken Sie an Kinder und Jugendliche, die noch mit den Folgen der Schulschließungen kämpfen. Wir wissen auch, dass die psychischen Erkrankungen massiv zugenommen haben. Auch Menschen, deren engste Angehörige einsam sterben mussten, sind mit dem Thema noch lange nicht fertig.
Und Sie sind mit der Aufarbeitung nicht zufrieden?
Schröder: Die findet praktisch nicht statt. Es wäre für das Seelenheil vieler Menschen auch gut, wenn es dort, wo Fehler gemacht wurden, auch Entschuldigungen gäbe.
Die Politik will davon nichts mehr hören.
Schröder: Man muss unterscheiden: Gerade am Anfang wusste man vieles nicht, musste aber trotzdem entscheiden. Aber wir reden ja über fast drei Jahre. In den späteren Phasen der Pandemie hat man Erfahrungen aus anderen Ländern fast komplett ignoriert und stur seinen Weg weiterverfolgt. Das war der Fehler.
Wie hat Corona unser Zusammenleben verändert?
Schröder: Ich fand erschreckend, mit welchem Rigorismus Maßnahmen durchgeführt wurden – keineswegs nur von der Politik. In Krankenhäusern oder Hospizen wurden selbst vorsichtigste Öffnungen für Härtefälle nicht genutzt. Es gab Kirchen, die Ungeimpfte ausgeschlossen haben, obwohl sie das nicht mussten. Als verantwortungsvoll galt derjenige, der besonders hart vorging – nicht der, der mit Augenmaß agierte. Die Isolierung von Sterbenden ist da für mich das drastischste Beispiel. Das war unmenschlich und ging an den Artikel 1 des Grundgesetzes: die Menschenwürde. Diesen Rigorismus hätte ich von meinem Land nicht erwartet.
Corona und Klimapolitik: Kristina Schröder warnt vor Einschränkung der Grundrechte
Sie ziehen Parallelen zur Klimadebatte. Fürchten Sie, dass sich auch hier der Rigorismus zuspitzt?
Schröder: Ja, das fürchte ich. Wir neigen bei beiden Themen zur Maxime: Der Zweck heiligt die Mittel. Dieser Zweck ist in beiden Fällen fraglos ein guter. Hier: Infektionsgeschehen einzuschränken, um Menschenleben zu retten. Dort: das Klima zu schützen. Aber unsere Verfassung ist bewusst so konzipiert, dass gewisse Grundrechte schlichtweg tabu sind. Leider sehe ich beim Klimaschutz bedenkliche Tendenzen.
Nämlich?
Schröder: Es geht um privateste Entscheidungen: wie wir wohnen, wie wir heizen, wie wir essen, wie wir uns fortbewegen, wie wir in den Urlaub fahren. Das ist noch nicht so weit wie in der Pandemie. Aber viele versuchen, direkt daran anzuschließen. Da geht es an den Kernbestand von Freiheitsrechten.
Das kommt fast noch mehr von gesellschaftlichen Gruppen als aus der Politik.
Schröder: Es kommt sogar vom Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe hat in seinem Klimaschutzurteil eine neue Unterkategorie der Handlungsfreiheit eingeführt und spricht von „CO2-relevantem Freiheitsgebrauch“. Das klingt harmlos: Mir fällt aber fast kein Freiheitsgebrauch ein, der CO2-neutral ist. Wenn man sieht, wie viel CO2 die modernen Medien ausstoßen, ist sogar Pressefreiheit CO2-relevant. Wo wollen wir denn da die Grenze ziehen?
Zur Begründung bezieht man sich immer auf „die Wissenschaft“. . .
Schröder: Ja (seufzt).
Gibt es „die Wissenschaft“?
Schröder: Natürlich nicht! Der Kern von Wissenschaft ist ja das Ringen um unterschiedliche Positionen. Es gab und gibt sowohl in der Pandemie als auch beim Klimaschutz unterschiedliche Ansätze. Zu den Kipppunkten im Klimasystem beispielsweise finden Sie ein breites Spektrum. Aber noch wichtiger ist: Die Wissenschaft kann Tatsachenaussagen treffen, aber uns keine Handlungsanweisungen geben. Das war der große Fehler der Politik, die für diese Entscheidungen zuständig wäre, sich hinter der Wissenschaft zu verstecken. Da sind beide Seiten ihrer Rolle nicht gerecht geworden.
Corona-Leugner: Schröder wehrt sich gegen den Vorwurf
Aber gerade jemand wie Christian Drosten hat immer wieder gesagt: Das ist die Lage – entscheiden muss die Politik.
Schröder: Das stimmt: Er war nicht der, der an vorderster Front agitiert hat – wie manche seiner Kollegen, die das letztlich totalitäre No-Covid gefordert haben –, aber auch er hat Grenzen überschritten, etwa vor Schulöffnungen gewarnt.
Sie selbst werden bis heute als „Querschwurblerin“ bezeichnet, obwohl die Emotionen eigentlich etwas runtergekühlt sein müssten.
Schröder: Wir haben uns in der Pandemie angewöhnt, Menschen, die Maßnahmen kritisch sehen, in einen Topf mit jenen zu werfen, die das Problem komplett leugnen. Damit sollen Leute mundtot gemacht werden. In den Sozialen Medien passiert das sehr stark. Aber auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt es vor – mit verfeinerten Instrumenten. Gerade in den Talkshows.
Was heißt das für die Klimadebatte?
Schröder: Da geht es in eine ähnliche Richtung. Ich sage: Die meisten Klimaschutzmaßnahmen kosten uns Freiheit oder Wohlstand. Wohlstand wiederum hängt eng mit Lebenserwartung oder Bildung zusammen. Da möchte ich auch künftig abwägen können. Auch hier gilt: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel.
Das Interview führte Mike Schier. Es erschien erstmals am 28. August 2023 im Münchner Merkur.