Foto: „Raute“ von 360b via Shutterstock

Am Ende der Komfortzone: Deutschland braucht eine Generalreform

Ein Manifest von Prof. Dr. Andreas Rödder, Dr. Kristina Schröder, Dr. Harald Mosler

Im Schlagwort der „Zeitenwende“ bündeln sich die einschneidenden Veränderungen ebenso wie die gewaltigen Herausforderungen, vor denen unser Land steht und die nahezu alle Politikfelder betreffen. „Zeitenwende“ ist viel mehr als nur eine sektorale Reparaturleistung in der Verteidigungs- oder Außenpolitik. Der Begriff der „Zeitenwende“ markiert das Ende der Komfortzone, in der Deutschland es sich zu lange bequem gemacht hat. Notwendig ist eine grundlegende Kurskorrektur der gesamten Politik.

Die politische Ordnung und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands sind Anfechtungen und Gefährdungen ausgesetzt, die lange unterschätzt, falsch bewertet oder sträflich vernachlässigt worden sind: Tendenzen der Desintegration und Spaltung im Innern, Denkblockaden und Diskursverengungen durch Moralisierung und Ideologisierung, die demographische Entwicklung, fortschreitende Bürokratisierung und gesetzliche Rahmenbedingungen, die unternehmerische Tätigkeit und Innovation behindern im Innern und das aggressive Auftreten und Handeln Russlands und immer mehr auch Chinas von außen.

Diese Herausforderungen sind weder neu noch eine Folge des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Deutschland war zu lange nicht in der Lage oder nicht willens, auf diese Herausforderungen angemessene, strategische und mutige Antworten zu finden. Das gilt insbesondere für die bürgerlichen Parteien, die weder eine auf den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft beruhende ordnungspolitische Strategie noch ein liberal-konservatives Gesamtkonzept entwickelt haben.

Stattdessen hat der Staat seinen Zuständigkeitsanspruch immer weiter ausgedehnt und die Illusion eines immerwährenden, durch staatliche Transfers abgesicherten Wohlstands genährt. Der Staat hat Erwartungen geweckt, die er einerseits nicht mehr rückgängig machen, andererseits unmöglich umfassend erfüllen kann. Diese Politik gefährdet die Grundlagen unseres Gemeinwesens.

Rekord-Steuereinnahmen und niedrige Zinsen eröffneten bis zur Corona-Krise finanzielle Spielräume – die jedoch nicht genutzt wurden, um in die Zukunftsfähigkeit des Landes zu investieren. Vielmehr wurden sie für stetig zunehmende wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen und politische Wunschprojekte eingesetzt.

Der deutsche Staat hat auf diese Weise große Teile seiner Substanz verzehrt und ist in seinen Kernaufgaben nicht mehr hinreichend handlungsfähig. Das gilt für die äußere Verteidigung ebenso wie für die innere Sicherheit, die Infrastruktur, das Bildungswesen oder die Digitalisierung. Als Investitionsstandort ist Deutschland angesichts hoher Steuern, Energiepreisen und Regulierungslasten kaum noch wettbewerbsfähig.

Deutschland braucht deshalb eine Generalreform. Ein solche Reform wird nur gelingen mit

  • Realismus statt Illusionen und Schönfärberei
  • Strategien und klaren Zieldefinitionen statt zeitgeistfixiertem Pragmatismus oder ideologischem Dogmatismus
  • ergebnisoffener Rationalität statt wahltaktischem Kurzfristdenken oder moralisierenden Erregungen
  • marktwirtschaftlichen Prinzipien, Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung statt staatsgläubiger Überregulierung
  • einer Modernisierung und Verschlankung der Staatsorganisation, die bei der Bundesregierung beginnt.

Für diese Generalreform braucht Deutschland einen neuen Politikstil, der

  • nach innen und nach außen Führungswillen zeigt
  • eine offene Debattenkultur fördert, die das Denken in alternativen Szenarien einschließt und so Gestaltungsspielräume des demokratischen Wettbewerbs eröffnet
  • umfassend strategisch denkt und Politik nicht auf operatives Verwaltungshandeln oder die Exekution vermeintlicher Alternativlosigkeiten reduziert
  • staatliches Handeln auf die Erfüllung der Kernaufgaben konzentriert und das Subsidiaritätsprinzip konsequent umsetzt
  • die geopolitischen Interessen des Landes deutlich formuliert und vertritt
  • deutsche Sonderwege aufgrund vermeintlich höherer Einsicht und angenommener moralischer Überlegenheit vermeidet
  • eine Zukunftserzählung der liberalen Demokratie formuliert, die das Vertrauen in die bürgerliche Gesellschaft und ihre Leistungsfähigkeit wiedergewinnt und fruchtbar macht.

Dafür braucht Deutschland eine bürgerliche Politikwende!

Das Manifest der Denkfabrik R21 finden Sie als PDF hier.

Author

703 Fördermitglieder aktuell
Unser Ziel 1.000
70%
Noch 297 bis zum Ziel!
Jetzt Fördermitglied werden

Neueste Beiträge

Am meisten gelesen

Tags

Denkfabrik R21 Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden

News

Ähnliche Artikel

Bei dem von Barbara Zehnpfennig stammenden Text handelt es sich um die schriftliche Fassung eines am 9.10.25 als RHI-Lecture (Roman...

„Die deutsche Klimapolitik vernichtet unseren Wohlstand, ohne die globalen Emissionen zu reduzieren“ – das sagt Joachim Weimann in der neuen...

Liebe Sarah, in den USA wird, wie in Deutschland, über legale und illegale Migration debattiert, ein Urteil des Supreme Court...

Auf der R21-Konferenz am 11. November in Berlin sprach Norbert F. Tofall über den Liberalismus und seine Feinde. Liberalismus sei...

Grosse Ehrung für den unabhängigen Expertenrat Klima & Energie der Denkfabrik R21 Der Verband der Familienunternehmer zeichnete den Expertenrat mit...

„Die künftige Versorgung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt mit günstiger Energie ist komplett ungeklärt“ – das schreibt R21-Gründerin Kristina Schröder...

Steckt die Freiheit in der Krise? Mit dieser Frage beschäftigte sich die R21-Liberalismuskonferenz am 11. November in Berlin. Hochkarätige Experten...

Die Verkehrspolitik in Deutschland wird heute maßgeblich von den Zielen einer sogenannten „Verkehrswende“ bestimmt. Unter diesem Begriff wird ein grundlegender...

Liberale müssen es wieder schaffen, Menschen für die Freiheit zu begeistern – das schreibt Martin Hagen in einem Gastbeitrag für...