Während an den Elite-Hochschulen der USA gegen Donald Trump protestiert wird, wird der Präsident in den ehemaligen Industriehochburgen gefeiert. Hier finden Sie zwei neue Texte der R21-Amerikaexpertin Sarah Pines – über Trumps Konflikt mit der Harvard-Universität und die Liebe seiner Anhänger im Rust Belt.
Der grosse Showdown: Trump versus Harvard
Stellen wir uns einen Moment lag vor: Eine Gruppe fähiger Menschen, vielleicht eine Task Force, Exorzisten, Zauberer, sonstige Spezialisten, kommt und vertreibt den Wokismus ein für alle Mal aus der (amerikanischen) Gesellschaft, durchforstet Universitäten, Abteilungen und Lehrstühle – und piff, paff, der progressive Gesinnungsfanatismus ist weg, Cancelei und Zensur auch. Und je stärker wir es uns vorstellen, desto klarer wird: wir könnten nur tagträumen, der Wokismus könnte ebenso wenig aus den Köpfen verschwinden wie der dazugehörende Apparat linksprogressiver Stiftungen, Einrichtungen und NGOS. Dennoch versucht die Trump-Regierung das logistisch beinahe Unmögliche: Den Wokismus abschaffen, Diversität, Hautfarbe und Herkunft durch Leistungsprinzip und Meinungsvielfalt zu ersetzen.
In seiner Antrittsrede vom 20. Januar verkündete Trump, die künftige Regierungspolitik werde „kein Geschlecht und keine Rasse“ mehr kennen, sondern gute und schlechte Menschen, solche, die sich an Gesetze halten, oder sie brechen, solche, die Leistung erbringen, oder nicht. Dazu befahl Trump die Abschaffung aller staatlich geförderten DEI-Maßnahmen (für Diversität, Gleichstellung und Inklusion), da diese, so befanden Studien, Rassismus förderten anstatt ihn zu bekämpfen. Außerdem habe die gerade von Universitäten exzessiv praktizierte DEI-Politik Antisemitismus unter Studierenden und in der Gesellschaft produziert, die unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 an amerikanischen Universitäten, insbesondere den Ivy Leagues, ausbrechenden anti-israelischen, anti-semitischen und oftmals pro-terroristischen Proteste mitverursacht und das Ausmaß des von Universitätsleitungen geförderten Antiamerikanismus und Extremismus offenbart.
Die Campus-Proteste nahm die Regierung zum Anlass von Streichungen: der Columbia University werden staatliche Mittel in Höhe von 400 Millionen Dollar entzogen, was etwa 2.5 Prozent der jährlichen Kapitalausstattung der Universität ausmacht (14.8 Milliarden Dollar). Auch der Johns Hopkins University werden Gelder gestrichen, der Harvard University ebenso (etwa 2.2 Milliarden Dollar pro Jahr, die jährliche Kapitalausstattung von Harvard liegt bei knapp über 53 Milliarden). Wenn die Universitäten aber DEI-Massnahmen einstellten, ausserdem Campus-Proteste – insbesondere die gegen Israel – verböten, ferner, wie an der Columbia University, das Department for Middle Eastern Studies unter neue Führung stellten, so die Regierung, gäbe es weiter Geld. Ausserdem droht die Regierung verschiedenen Universitäten, diesen den Status der Steuerbefreiung zu nehmen.
Das Ende der DEI-Maßnahmen begann streng genommen bereits vor über einem Jahr, als die Universitätsleitung in Harvard in die Krise geriet. Der damaligen Präsidentin Claudine Gay war es nicht gelungen, die anti-semitischen und pro-terroristischen Campusproteste nach dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 effizient einzudämmen, sah sich außerdem mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Auch richtete sich das Augenmerk auf Gays dürftige, für eine Universitätspräsidentin inakzeptable Publikationsliste. Das Fazit: Die Präsidentin sei zu Unrecht Begünstigte von DEI-Maßnahmen. Schließlich trat Gay von ihrem Amt zurück.
Viele Universitäten, darunter Columbia, folgen derzeit den Anweisungen der Trump Regierung, nur Harvard nicht. Am Karfreitag erhielt Harvard einen ernsten und nüchternen Brief – dieser soll ausserplanmässig und verfrüht abgeschickt worden sein, doch die Inhalte stehen – mit Forderungen der Regierung an die Universität: Die Regulation der „intellectual and civil rights conditions“ in Harvard, einschließlich Verwaltung, Zulassungsverfahren, Programme und extracurricular Aktivitäten, das Verbot rassistischer und antisemtitischer Aktivitäten, das generelle Verbot der Immatrikulation ausländischer Studierender, wenn diese sich an illegalen Aktivitäten beteiligten.
Klingt für manche grob. Insgesamt aber geht es darum: Die Immatrikulation und Einstellung, so der Brief, sollen dem Leistungs- und nicht dem Herkunftsprinzip, Lehrpläne nicht länger den Guidelines gesinnungstreuer Ideologien folgen (Mikroaggressionen, Triggerwarnungen, identitätspolitische Befindlichkeiten, Safe Spaces). Studierende sollen – in einem neuen Klima der Toleranz – befreit und zensurlos lernen.
Die 1636 gegründete, älteste und prestigeträchtigste Universität der USA hingegen sieht sich von der Regierung genötigt und leistet nun Widerstand, um, so die Universitätsleitung, die akademische Freiheit und das Recht auf freie Meinungsäusserung und öffentlichen Protest zu verteidigen. Harvards Präsident Garber formulierte es in einem öffentlichen Gegenbrief so: “no government – regardless of which party is in power – should dictate what private universities can teach, whom they can admit and hire, and which areas of study and inquiry they can pursue.” Und an anderer Stelle: “The university will not surrender its independence or relinquish its constitutional rights. (…) Harvard will not accept the government’s terms as an agreement in principle.”
Dabei sind die Universitäten in den USA ideologisch außerordentlich homogen. Die «Veritas», wie Harvards Motto lautet, heisst DEI, was freilich keine Diversität der Meinungen bezeichnet, sondern die durchpolitisierte Diversität der Rassen und Sexualitäten, unter Ausschluss weisser Heteronormativität. Wenn die Regierung in ihrem Brief nun forderte,
„By August 2025, the University shall commission an external party, which shall satisfy the federal government as to its competence and good faith, to audit the student body, faculty, staff, and leadership for viewpoint diversity, such that each department, field, or teaching unit must be individually viewpoint diverse”,
dann mag die Forderung nach Standpunktdiversität einigermaßen naiv klingen. Zwei unvereinbare Weltsichten prallen aufeinander: Für die Regierung soll der Wokismus durch Leistung ersetzt werden. Für Universitäten wie Harvard hingegen ist der Wokismus die Leistung, die es zu erbringen gilt. Woke wird zwar erst dann broke sein, wenn die Worte Diversität und Inklusion alle gegenwärtigen Konnotationen verloren haben. Dennoch ist die Signalsetzung wichtig. Bei allem Widerstand wird auch Harvard es sich künftig zweimal überlegen, ob die ein oder andere DEI-Massnahme das ganze Theater wirklich lohnt.
Trump, der Rust Belt und die Liebe
Am Tag der Amtseinführung von Donald Trump, am 20. Januar 2025, fand am äussersten, östlichen Ende des Rust Belt, in Buffalo, eine Yoga-Klasse statt. Etwa vierzig, dem Augenschein nach ausreichend diverse Menschen, sassen auf Matten und plauderten. Die Lehrerin trat ein und anstatt, wie sonst üblich, das Mantra des Tages zu verkünden, Sachen wie «Eure Reise beginnt erst hier», oder «Was immer ihr heute tut, ihr tut es für Euch», schwieg sie kurz und sagte dann mit grossem Lächeln: «Happy Freedom Day.» Jubel und Beifall brachen aus. Ausserhalb der grossen amerikanischen Städte, in Buffalo, insgesamt im Rust Belt und den ärmeren Regionen der Central United States wird Trumps Politik begrüsst, und das damit zusammenhängende Ende eines linksprogressiven Gesinnungsdrucks, der, so die Empfindung, fortan nicht mehr an der Spitze aller hiesigen Verhältnisse steht. Nach Jahren der schamvollen Ruhe – die erste Wahl Trumps zum Präsidenten war acht Jahre her, dann kam am 6. Januar 2021 der Aufstand am Capitol – und seitdem Trump am Super Tuesday Präsidentschaftskandidat der republikanischen Partei, dann zum zweiten Mal Präsident wurde, hat sich ausserhalb der woken Bubble ein gesellschaftliches Wohlgefühl eingestellt, das im öffentlichen Umgang sofort spürbar wurde, als ein «at ease» Sein, ohne diskursive Interpellationsgefühle, Angst vor Denunziation, und ohne identitätspolitischen Druck.
Im Sommer 2016 war Trump auf Wahlkampf in den Städten und Vorstädten des Rust Belt gewesen: „Ihr seid die Revolution, groß, gewaltig!“, rief er auf Rallys, versprach Arbeitsplätze und den Wiederaufbau der seit der Wirtschaftskrise 2007 nahezu endgültig verarmten Industrieregion. Heute finden Trumps wirtschaftspolitische Massnahmen Zustimmung. «Tariff Haters don’t live in the Rust Belt», schrieb Teresa Mull im britischen «Spectator» vom 8. April und verwies auf das Scheitern der NAFTA. Das Anliegen der «Populisten» sei eben gerade nicht die reaktionäre Rückkehr zu «manufacturing jobs» im Stil der 50er Jahre; «protectionist policies» sollten die Amerikaner vielmehr davor bewahren «hyper-dependent consumers» zu werden[1]. Uber 70 Prozent aller in die USA importierten Lithium-Ionen-Batterien, Laptops und Smartphones kommen aus China,[2] sowie knapp 30 Prozent aller Güterimporte. 1993 hatte Bill Clinton das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA ratifiziert, das eine Freihandelszone zwischen den USA, Kanada und Mexiko etablierte. 2018 unterzeichnete Trump das Nachfolgeabkommen. NAFTA schaffte Zölle ab, Importe in die USA überstiegen seitdem Exporte und verursachten ein Handelsdefizit, der Rust Belt verarmte.[3] Man könnte hinzufügen: In einer stabilen Wirtschaft gäbe es keinen Rust Belt.
Buffalo ist mit knapp über einer Million Einwohnern die zweitgrösste Stadt in New York State, Seine dahinwallenden Vorstädte und das umgebende Erie und Niagara County liegen am Aussenrand des Rust Belt, eine heute verarmte Industriegegend längs der großen Seen, die auch Detroit oder Pittsburgh umfasst. In den letzten Wahlen schwang der Rust Belt, insbesondere seine Vorstädte, massiv nach rechts und wählte Trump.In den Bewohnern des Rust Belt meinen Soziologen regelmässig die amerikanische Version unzufriedener Halb-Nazis zu erkennen: prekär und voller Hass auf alle, denen es besser geht, insbesondere «people from the city», womit NYC gemeint ist.
Buffalo ist leer mit viel Rasen, Antennenpfosten mit dicken, durchhängenden Kabeln daran, darunter Holzhäuser mit dünnen Wänden. Schilder des Footballvereins Buffalo Bills stehen in Vorgärten, blau-rote Buffalo Bills Banner hängen an Garagentoren. Man sieht das Jahr über Truthähne und Schneegänse, am Straßenrand liegt viel überfahrenes Dammwild. Die Straßen haben keine Bürgersteige. In den Wochen vor den vorletzten Präsidentschaftswahlen war Trumps Ex-Geliebte Stormy Daniels im Score’s Gentlemans Club in Tonawanda aufgetreten. Leere Industriegebäude, eingeworfene Scheiben. Etwa 76 Prozent der Bevölkerung in Buffalo entstammen der Arbeiterklasse. Irgendjemand bleibt immer in der Schule zurück und macht die Arbeit, die niemand sonst machen will. Frauen und Männer mit geschwollenen Fingern arbeiten in Diners, in Supermärkten, oder Reinigungen. Menschen streunen gelangweilt und einsam durch von Hitze und Kälte gleichermassen aufgeplatzte Strassen mit krümeligen Schlaglöchern.
Im Jahr 1970 war in der 1890 gegründeten Kommune „Liebeskanal“ – damals wie heute eine dürre Häuseransammlung in Niagara Falls nahe Buffalo – so etwas wie die Pest ausgebrochen, allerdings in Form langfristiger Leukämien, plötzlich verfärbten, dann wackelnden Zähnen und Fehlgeburten, ausgelöst durch achtlos in den Niagara River geschüttete Industrieabfälle. Es folgten Dekaden des Nichtstuns seitens der zuständigen Regierung, Jahrzehnte, in denen Menschen durch verunreinigtes Trinkwasser zu cracksüchtigem Menschenmüll wurden, der den New York State Department of Health Commissioner Mitch Axelrod noch zwanzig Jahre nach dem Vorfall dazu brachte, von einem Symbol nationalen Versagens zu sprechen. Amerika ist voll von solchen Orten, an denen Menschen für wenig oder garnicht arbeiten und an denen der Geist geplündert ist.
Diese Menschen holt Trump nach wie vor ab. Wie? Mit «Liebe», wie der Präsident es nennt. Trump „liebt“ seine Basis und seine Anhänger erwidern seine Liebe, auf nahezu jeder Rally ist „love“ eines der meistgebrauchten Wörter. Diese Liebe ist das stärkste, zu Unrecht als „phallisch“, „psychosexuell“ oder „kultisch“ mokierte, und unterschätzteste Band zwischen einem Politiker und einer Wählerschaft und derzeit die zentralste Kraft in der amerikanischen Politik. Dabei ist es egal, ob Trump wirklich liebt, die Bekundung und die ausgesprochenen Erwiderungen sind ebenso wichtig, wie das wie auch immer authentische Gefühl. Liebe, dieses allumspannende, glitzernde Gefühl, mit dem wohl kein Politiker von Beginn an und seit vielen Jahren so inflationär umgeht, wie Trump, umfasst den Glauben an Trump als Kämpfer der «deplorables», wie Hillary Clinton das vornehmlich weisse Prekariat nannte, dass zu Trumps Kernwählerschaft gehört, ausserdem jene, die sich von der Gesellschaft und dem Establishment im Stich gelassen fühlen.
Auf einer Rally in Phoenix im August 2017 sprach Trump von dieser Liebe als Grundprinzip seines Kampfes: „You always understood what Washington, D.C. did not. Our movement is a movement built on love. Our movement is a movement built on love. It’s love for fellow citizens. It’s love for struggling Americans who’ve been left behind.”
[1] https://thespectator.com/topic/tariff-haters-dont-live-in-the-rust-belt/
[2]https://www.visualcapitalist.com/visualizing-americas-top-imports-from-china/#:~:text=Smartphones%2C%20Computers%2C%20Toys&text=In%202023%2C%20smartphones%2C%20computers%2C,U.S.%20goods%20imports%20from%20China.&text=China’s%20share%20of%20U.S.%20battery,over%20the%20past%20few%20years.
[3] https://www.citizen.org/wp-content/uploads/nafta_factsheet_deficit_jobs_wages_feb_2018_final.pdf
Author
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Sarah Pines ist im Sauerland und in Bonn aufgewachsen, hat Literaturwissenschaft in Köln und an der Stanford University studiert und wurde in Düsseldorf mit einer Arbeit über Baudelaire promoviert. Sie schreibt für die Kulturressorts der ›Zeit‹, der ›Welt‹ und der ›NZZ‹. Pines lebt als freie Autorin in New York. 2020 veröffentlichte sie die Kurzgeschichtensammlung ›Damenbart‹; im August 2024 erscheint ihr erster Roman ›Der Drahtzieher‹.
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