Neue Rechte versus liberale Demokratie
Historische Ursprünge und aktuelle Bedeutung eines intellektuellen Phänomens
Roundtable KAS + R21, Berlin 24. Januar 2025
Am 24. Januar 2025 hat R21 in einer ersten Gemeinschaftsveranstaltung mit der Konrad-Adenauer-Stiftung zu einem Expertengespräch über „Neue Rechte versus liberale Demokratie“ eingeladen. In drei Sektionen über die Zwischenkriegszeit, den Kalten Krieg und die Zeit nach 1990 wurden „historische Ursprünge und aktuelle Bedeutung eines intellektuellen Phänomens“ diskutiert und vor allem Kontinuitäten und Veränderungen auf der alten und neuen Rechten seit über hundert Jahren diskutiert, um die Phänomene der Gegenwart in Deutschland und Europa besser zu verstehen.
Von der völkischen Bewegung und der konservativen Revolution über Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck und Carl Schmitt, die Nouvelle Droite in Frankreich, Armin Mohler und die Neue Rechte in der Bundesrepublik bis zu ihrem Verhältnis zu Russland wurden dabei drei wesentliche und ineinander greifende Befunde klar.
I.
Eine wesentliche Kontinuität im Denken der alten und neuen Rechten beseht in ethnisch-kulturellen Homogenitätsvorstellungen. Zugleich liegt eine wesentliche Veränderung im Aufkommen des sogenannten Ethnopluralismus: der Vorstellung ethnisch bedingter unterschiedlicher Kulturräume, die sich nicht vermischen sollten. Er hat den alten völkischen Nationalismus abgelöst, der die Überlegenheit des eigenen Volkes verfocht. „Mit dem Ethnopluralismus geht es nicht mehr wie beim Imperialismus um die Eroberung der Welt, sondern um das Fernhalten des Fremden vom Eigenen“ (Matthias Brodkorb). Ethnopluralismus geht von der Vielfalt der Völker aus und definiert sie als Kulturgemeinschaften – theoretisch also nicht biologisch, faktisch freilich sehr wohl. Ebenso bedeutet die Idee von der Unterschiedlichkeit der Völker theoretisch keine Ungleichwertigkeit, in der Praxis ist dies oftmals sehr wohl der Fall. Diese Uneindeutigkeiten zeigen an: Ethnopluralistische Denken kann, aber muss nicht extremistisch sein.
Jedenfalls ist Ethnopluralismus kollektivistisch, weil sein Gesellschaftsbild von ethnisch bedingten Herkunftsmerkmalen ausgeht und nicht, wie die bürgerlich-liberale Gesellschaft, vom freien Individuum. Und er steht im Widerspruch zur offenen Gesellschaft, die den Bürgern unabhängig nach Qualifikation und freiem Willen Zugang ermöglicht. Die bürgerlich-liberale Gesellschaft will geregelte Einwanderung und die Integration neuer Bürger, Ethnopluralismus will sie, jedenfalls von außerhalb des eigenen Kulturkreises, nicht.
II.
Neue und alte Rechte sind und waren in ihrem Denken grundsätzlich anti-liberal und richten sich gegen den Universalismus der Aufklärung. Dies hat eine erkenntnistheoretische und eine inhaltliche Konsequenz.
Erkenntnistheoretisch lehnt die Neue Rechte den aufklärerischen Anspruch an einen rationalen Universalismus, seine Vorstellungen einer erkennbaren Wirklichkeit und einer verbindlichen Wahrheit ab. Sie verfolgt keine kohärente Theorie und sieht sich auch keiner rationalen Kohärenz und Logik verpflichtet – fake news und innere Widersprüche sind in dieser Perspektive keine „Fehler“, sondern Teil des Spiels.
Inhaltlich ist die antiliberale Ablehnung des Universalismus der Aufklärung vor allem anti-westlich. Antiamerikanismus – und zugleich: Nähe zu Russland – sind ein durchgängiges Phänomen der Rechten seit der Weimarer Republik.
Das Verhältnis zur Demokratie scheint – im Gegensatz zur eindeutigen Ablehnung in der alten Rechten – innerhalb der neuen Rechten ambivalent. Während einige Repräsentanten offen demokratieverachtend auftreten, bekennen sich andere demonstrativ zur freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung. Ob bzw. inwiefern sie die Absicht hegen, diese auf demokratischem Wege von innen heraus zu verändern, wurde von den Experten kontrovers diskutiert.
III.
Diese Uneindeutigkeit ist symptomatisch und charakteristisch für Stil und Methoden, Eklektizismus und Widersprüchlichkeit sowie die Mehrdeutigkeit einer vagen Rhetorik sind Prinzip. Dies gilt für die Distanzierung der Neuen Rechten vom Nationalsozialismus, während AfD-Vertreter wie Björn Höcke oder Maximilian Krah immer wieder mit Äußerungen zum Nationalsozialismus zündeln. Es gilt auch für das Zurücktreten des Antisemitismus der alten Rechten hinter den Kampf gegen den Islam – während immer wieder antisemitische Codes bedient werden.
Theoretiker der Neuen Rechten zielen unterdessen weniger auf kurzfristige Erfolge. Sie betreiben vielmehr bewusst „Metapolitik“, der es – mit dem Marxisten Antonio Gramsci formuliert – um den Gewinn der „kulturellen Hegemonie“ geht: der allgemeinen Deutungshoheit über „falsch“ und „richtig“, der die politischen Entscheidungen folgen.
Zugleich sind alte und Neue Rechte dem Freund-Feind-Denken von Carl Schmitt verhaftet. In diesem Sinne tragen sie ihrerseits bewusst und aktiv zur Polarisierung der politischen Öffentlichkeit bei.
Diese Bestandsaufnahme und die Diskussionen haben einmal mehr gezeigt: Bürgerliche Politik sollte die Neue Rechte weder dämonisieren noch unterschätzen, sie weder ausgrenzen noch sich anbiedern, sondern sich differenziert auseinandersetzen, Unterschiede und Trennlinien deutlich markieren und ihr vor allem mit Blick auf anti-westliche und ethnisch-kollektivistische Denklinien sowie ihre grundlegende Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit selbstbewusst entgegentreten.