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Foto: Industrieclub Sachsen e.V. / Jürgen Lösel

Souveränität statt Empörung

Plädoyer für eine andere Kultur der politischen Öffentlichkeit

Deutschland im Januar 2024 ist in Bewegung – wenn man nicht gerade mit der Deutschen Bahn unterwegs ist: Bauernproteste und die Demonstrationswelle gegen Rechtsextremismus versetzen das Land in emotionale Aufwallungen, die bis in private Beziehungen hineinreichen.

Akut geht es um Aussagen über „Remigration“ auf einem Treffen von etwa 20 Personen im vergangenen November, das unter Absehung von (ansonsten so beschworener) historischer Kenntnis zu einer zweiten „Wannseekonferenz“ stilisiert wird. Dabei sind die kolportierten Aussagen schon länger bekannt und anderweitig öffentlich geäußert worden.

„Remigration“ ist ein alter, ursprünglich neutraler migrationssoziologischer Begriff für „Rückwanderung“, der inzwischen zum Kampfbegriff geworden ist. Um so wichtiger ist die Unterscheidung, wovon eigentlich die Rede ist.

Wenn es erstens um die Abschiebung von Asylbewerbern geht, deren Asylantrag abgelehnt wurde, so ist dies eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit und ihre Unterlassung ein erhebliches Vollzugsdefizit. Wenn Kanzler Scholz dabei Abschiebungen „im großen Stil“ ankündigt – klingt das wirklich ganz anders als „millionenfache Remigration“? Achtung Doppelmoral! Das gilt auch für einen zweiten Aspekt: die Ausweisung straffälliger Migranten. Denn es war niemand anderes als Robert Habeck, der dies in seinem gefeierten Video nach dem 7. Oktober angesprochen hat.

Etwas ganz Anderes ist, was in Potsdam offenkundig auch diskutiert wurde: Migranten mit rechtmäßigem Aufenthaltsstatus rauszuekeln, die als nicht assimiliert angesehen werden, verstößt gegen die Menschenwürde und ist mit Rechtsstaatlichkeit ebensowenig zu vereinbaren wie der vierte Aspekt: zwischen Staatsbürgern und Herkunftsdeutschen zu unterscheiden und ihnen unterschiedliche Rechte zuzusprechen, wie es Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl tut.

Das kann man sehr klar unterscheiden und benennen. Und es wäre klüger, solche klar begründeten roten Linien des rechtsstaatlich Zulässigen zu ziehen und diesseits dieser Linien robust zu diskutieren. Eine „Brandmauer“ zu beschwören, die nicht differenziert, sondern pauschal ausgrenzt – übrigens nicht nur „rechtsextreme“ Positionen, sondern alles, was „rechts“ genannt wird und das heißt: nicht links ist – eskaliert hingegen die Polarisierung weiter.

Argumentative Souveränität statt pauschalisierender Empörung – das wäre der beste Dienst für die Demokratie.

Der Beitrag von Andreas Rödder wurde erstmals im Tagesspiegel am 24. Januar 2024 veröffentlicht.

Andreas Rödder

Andreas Rödder ist Leiter der Denkfabrik R21 und Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Gegenwärtig wirkt er als Helmut Schmidt Distinguished Visiting Professor an der Johns Hopkins University in Washington. Er war Fellow am Historischen Kolleg in München sowie Gastprofessor an der Brandeis University bei Boston, Mass., und an der London School of Economics. Rödder hat sechs Monographien publiziert, darunter „21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart“ (2015) und „Wer hat Angst vor Deutschland? Geschichte eines europäischen Problems“ (2018), sowie die politische Streitschrift „Konservativ 21.0. Eine Agenda für Deutschland“ (2019). Andreas Rödder nimmt als Talkshowgast, Interviewpartner und Autor regelmäßig in nationalen und internationalen Medien zu gesellschaftlichen und politischen Fragen Stellung; er ist Mitglied im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung und Präsident der Stresemann-Gesellschaft.

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