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Plädoyer für einen liberalen Konservatismus

In einem Debattenbeitrag für die aktuelle Ausgabe von „Der Spiegel“ beschreibt R21-Leiter Andreas Rödder die Aufgabe, vor der die Christdemokratische Union jetzt steht. Es gelte jetzt, sich neu zu erfinden.

Aus Rödders Sicht liegt der Schlüssel dafür in einem liberalen Konservativismus – der nicht nostalgisch zurückblickt, sondern den Wandel gestaltet.

Für den Konservatismus, so Rödder, ist ein Menschenbild maßgeblich, das von der Fehlbarkeit des Menschen ausgeht. „Was heute als unverrückbar richtig gilt, kann uns morgen als völlig falsch erscheinen. Und was der Mensch auch tut, es schafft unvorhergesehene Folgen.“

Für konservative Menschen erwachse daraus eine Haltung der Bescheidenheit und der Skepsis gegenüber Moden und vermeintlichen Gewissheiten. Typisch für den Konservativen ist aus der Sicht Rödders auch eine grundsätzliche Selbstdistanz. Das unterscheide ihn von Linken, die oft in einem absoluten Wahrheitsanspruch erstarren, aber auch vom Kulturpessimismus und schlecht gelaunten Ressentiment vieler Rechter.

Wandel als programmatischer Kern

Konservative Politik ist, so Rödder, weniger auf bestimmte klassische Ziele wie Freiheit oder Gleichheit ausgerichtet. Maßgeblich sei vielmehr das Gestaltungsprinzip des schrittweisen und damit menschenfreundlichen Wandels. Konservatismus will alle mitnehmen, akzeptiert aber per se auch nicht alles. Konservative Politik bedeutet insofern ein stetiges Abwägen und Balancieren „zwischen den Extremen alternativloser Anbiederung und dogmatischer Starrsinnigkeit“, geleitet von Erfahrungswerten und Alltagsvernunft, Realismus und Pragmatismus, Maß und Mitte. Hinzu kommt für Rödder der Vorrang der Gesellschaft vor dem Staat.

„Liberale Konservative setzen auf den Pluralismus unterschiedlicher Individuen statt auf ständisch gegliederte Diversität, auf Gleichberechtigung statt Gleichstellung, auf bessere Chancen statt auf eine neue Welt. Sie glauben an die Innovationskraft einer offenen bürgerlichen Gesellschaft und kämpfen für eine stete Verbesserung der überkommenen Verhältnisse“.

Antwort auf die Herausforderungen der 20er Jahre geben

Für den R21-Leiter stellt sich damit eine Reihe konkreter Herausforderungen, die konservative Politik jetzt gezielt angehen muss:

  • Stärkung der Europäischen Union, ohne „der „Ideologie ‚einer immer enger werdenden Union‘ oder den Rufen nach einer Transferunion zu verfallen“
  • Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft zur Entfesselung kreativer wie innovativer Kräfte, gerade auch in den Schlüsselbereichen der Klima- und der Energiepolitik
  • Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft durch Steuerung der Migration und mehr Anstrengungen in der Integration
  • Verwirklichung von Chancengerechtigkeit durch neue Wege in der Bildungspolitik
  • ideologiefreie Familienpolitik, die gleichberechtigte Erwerbsmöglichkeiten wie Karrierechancen schafft und zugleich „Familien selbst überlässt, wie sie ihr Leben führen wollen.“

Hören Sie zur Situation der CDU auch das Interview von Professor Andreas Rödder vom 6. November 2021 mit dem NDR-Radio >

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  • Andreas Rödder

    Andreas Rödder ist Leiter der Denkfabrik R21 und Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Gegenwärtig wirkt er als Helmut Schmidt Distinguished Visiting Professor an der Johns Hopkins University in Washington. Er war Fellow am Historischen Kolleg in München sowie Gastprofessor an der Brandeis University bei Boston, Mass., und an der London School of Economics. Rödder hat sechs Monographien publiziert, darunter „21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart“ (2015) und „Wer hat Angst vor Deutschland? Geschichte eines europäischen Problems“ (2018), sowie die politische Streitschrift „Konservativ 21.0. Eine Agenda für Deutschland“ (2019). Andreas Rödder nimmt als Talkshowgast, Interviewpartner und Autor regelmäßig in nationalen und internationalen Medien zu gesellschaftlichen und politischen Fragen Stellung; er ist Mitglied im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung und Präsident der Stresemann-Gesellschaft.

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