Unwucht bei FUNK: Gleichbehandlung des Ungleichen
Alice Klinkhammer
Die FUNK-Berichterstattung blendet die kritische Auseinandersetzung mit Gewalt von Muslimen gegen den Staat und gegen jüdisches Leben aus. Stattdessen ist die Abwehr eines angeblichen antimuslimischen Generalverdachts die Redaktionslinie. Das unterwandert den Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Pflicht zur Ausgewogenheit.
Der Nachrichten-Podcast „Was die Woche wichtig war“ des ÖRR-Jugendformats FUNK will seine junge Zielgruppe der 14 bis 29-Jährigen jede Woche über aktuelle, viel besprochene Themen des Weltgeschehens informieren und Kontroversen widerspiegeln. Seit dem Start der Initiative für einen besseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk analysiert Republik 21 den Podcast. Insbesondere seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 erweckt er den Eindruck, dass es statt einer ausgewogenen Berichterstattung über Israel, Hamas und die Situation im Gaza-Streifen vorrangig darum geht, einem von der Redaktion offensichtlich befürchteten oder erwarteten „antimuslimischen Generalverdacht“ entgegenzuarbeiten. Dabei sollte eine ausgewogene Berichterstattung beides leisten: Sie sollte dazu beitragen, pauschale Vorverurteilungen einzelner sozialer Gruppen zu verhindern, aber dennoch Realitäten – etwa Gewalt von Migranten mit muslimischem Hintergrund gegen Polizei und jüdisches Leben in Deutschland – klar benennen.
Terror-Verurteilung lediglich als Redaktionsmeinung statt als gesellschaftlichen Konsens zu präsentieren, die menschliche Behandlung israelischer Geiseln zu betonen, ungeprüft antimuslimischen Rassismus in Deutschland zu vermuten, anlasslos muslimischen mit rechtsradikalem Judenhass zu vergleichen – das sind Vorgänge, die wissenschaftlich als False Balancing, also falsche Ausgewogenheit, bezeichnet werden (vgl. Hofmann 20211). Gemeint ist damit, dass unterschiedliche Perspektiven auf eine politisch-gesellschaftliche Problemlage als gleichwertig behandelt und dargestellt werden, obwohl sie nicht gleichwertig sind. Die Gleichbehandlung des Ungleichen mündet – ob beabsichtigt oder nicht – in der Überrepräsentation einer bestimmten Sichtweise.
Beides ist bei den FUNK-Podcastausgaben der letzten Wochen zu beobachten. Darin schlagen sich falsche Ausgewogenheit und Unwucht in zweierlei Hinsicht nieder:
- Aus dem Bemühen, das Leid beider Seiten darzustellen, erfolgt eine möglicherweise unterbewusste, aber unlautere Gleichsetzung von Terror und Krieg.
- Aus dem Bemühen, Muslime nach dem 7. Oktober 2023 hierzulande nicht unter Generalverdacht stellen zu wollen, erfolgt in der Berichterstattung die falsche Übergewichtung eines angeblich antimuslimischen Rassismus in Deutschland – zulasten der Diskussion um den Umgang mit gewaltverherrlichenden Pro-Palästina-Demonstrationen im ganzen Land.
Erkennbar sind falsche Ausgewogenheit und Unwucht an folgenden journalistischen Mechanismen:
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- Relativierung, wo Eindeutigkeit gegeben ist:
In der ersten Ausgabe nach dem Massaker stellt Moderator Leo Braun klar fest, Terror sei durch nichts zu rechtfertigen. Stutzig macht den Zuhörer der mehrfache Verweis, diese Aussage sei ausdrücklich als seine oder als Meinung der FUNK-Redaktion zu verstehen2 – als sei die Verurteilung terroristischer Gewalt ein Meinungsstandpunkt, über den man diskutieren könne. Der Hamas-Terror wird nicht eindeutig faktisch, sondern relativierend im Meinungsgewand verurteilt. Das ist falsch ausgewogen – möglicherweise aus falsch verstandener Meinungsfreiheit angesichts pro-palästinensischer Israelkritik.
. - Nicht-Einordnung, wo Einordnung notwendig wäre
Nach der Freilassung zweier israelischer Frauen aus der Hamas-Geiselhaft hebt Moderator Braun die Aussage einer der Frauen hervor, gut behandelt worden zu sein und bemerkt abschließend: „Ich weiß nicht, ob das irgendeine Bedeutung hat, aber ich fand das interessant“3. Die Aussage der Frau hätte journalistisch eingeordnet werden müssen. Ihr Ehemann ist noch immer in der Gewalt der Hamas. Dass sie das eventuell davon abhält, schlecht über die Entführer zu sprechen, hätte angesprochen werden müssen. Vermeintlich gutes Behandeln der Geiseln hervorzuheben, dann aber nicht einzuordnen und luftleer nach der Bedeutung zu fragen, ist suggestiv und falsch ausgewogen. Es suggeriert eine menschliche Behandlung durch Terroristen, die zuvor brutal gemordet haben.
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- Differenzierung auf jüdischer, keine Differenzierung auf muslimischer Seite
In zwei aufeinander folgenden Podcast-Ausgaben sollte anhand ausgewählter Interviewpartner erst die jüdische, dann die muslimische Perspektive auf das aktuelle gesellschaftliche Klima in Deutschland eingefangen werden. Die FUNK-Redaktion sagt selbst, sie wolle damit Ausgewogenheit leisten. Tatsächlich ist es falsch ausgewogen: Während Braun seinem jüdischen Interviewpartner zurecht eine differenzierende Frage stellt („Muslime fühlen sich unter Generalverdacht gestellt. Kannst du verstehen, warum?“4) und auch eine differenzierte Antwort erhält, bleibt ein differenzierendes Befragen der anderen Seite aus. Im Gespräch zur muslimischen Perspektive mit der Leiterin von CLAIM (Allianz gegen antimuslimischen Rassismus) verharrt der Fokus einzig auf einer Lesart: Der Bedrohung von Muslimen durch rassistische Ressentiments in Deutschland und der angeblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit bei Israelkritik. So fragt Braun seine muslimische Interviewpartnerin: „Glaubst Du, ein pauschales Demonstrationsverbot [gegen Pro-Palästina-Demonstrationen] hat dazu geführt, dass sich die Fronten verhärtet haben?“5. Eine ausgewogene Frage dagegen hätte lauten können: Einige Menschen fühlen sich durch offenkundige Solidarisierungen mit der Hamas bedroht. Kannst Du verstehen, warum? Solche Fragen auf der einen politischen Seite zu stellen, aber auf der anderen nicht, zeugt von journalistischer Voreingenommenheit. Das wiederum erzeugt Unwucht in der Berichterstattung und verhindert Ausgewogenheit.
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- Falsche Wiedergabe von Studienergebnissen
In dem Bemühen, einen antimuslimischen Generalverdacht zu verhindern, zeichnet FUNK das falsche Bild einer angeblich muslimfeindlichen deutschen Gesellschaft, vor der Muslime geschützt werden müssten. Man müsse auch über antimuslimischen Rassismus sprechen, sagt Moderator Leo Braun7 und wendet sich seiner Interviewpartnerin von CLAIM zu. „Wir wissen, dass jeder Zweite muslimfeindlichen Aussagen zustimmt“8, behauptet sie und leitet daraus die Dringlichkeit politischer Gegenstrategien ab. Doch das stimmt so nicht. Zitiert wird der Bericht Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz des „unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit“ vom 29. Juni 2023. Die Zahlen dieses Berichts wurden bereits damals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk dramatisierend falsch wiedergegeben. R21 hat darauf hingewiesen9. Immer wieder wurde kolportiert, jeder zweite Deutsche stimme muslimfeindlichen Äußerungen wie „Jungen, die Scheiße bauen“ und „Mädchen, die verheiratet werden“ zu. Das ist unwahr. Wer den Bericht liest, lernt: Jeder Zweite stimmt der Aussage zu, er fühle sich vom Islam bedroht. Ein Bedrohungsgefühl ist nicht ohne weiteres pauschal muslimfeindlich und kein antimuslimischer Rassismus. Ausgewogen wäre der Bericht, wenn Funk neben der rassistischen auch eine migrationskritische Lesart dieses Befunds anböte. Dass dies nicht geschieht und die Studie ansonsten fehlerhaft wiedergegeben wird, zeugt abermals von Unausgewogenheit.
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- „Whataboutism“
Unter „Whataboutism“ versteht man eine rhetorische Technik, bei der auf eine schwierige Frage oder einen Missstand mit einer Gegenfrage oder den Verweis auf einen anderen Missstand ausweichend reagiert wird: Aber was ist mit X? Es ist ein versuchter Themenwechsel. FUNK betriebt Whataboutism, indem auf rechtsradikalen Antisemitismus verwiesen wird: „Der Satz ,Wir haben genug antisemitische Männer im Land‘ mag richtig sein“, sagt Braun, „aber, soweit ich das weiß, geht gerade Antisemitismus in den letzten Jahren sehr stark von Rechtsextremen oder rechten Einstellungen aus“. Es wird pauschal und anlasslos auf Rechtsextremismus ausgewichen, anstatt den offenkundigen und anlassbezogenen muslimischen Antisemitismus vertieft zu behandeln, der akut vor Aufzeichnung der Ausgabe in mehreren deutschen Städten schon stattfand.
- Relativierung, wo Eindeutigkeit gegeben ist:
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Fazit
Das Bemühen, ein antimuslimisches Gesellschaftsklima zu verhindern, ist offenkundig die Mission des FUNK-Podcasts „Was die Woche wichtig war“ in der Zeit nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober. Die Repräsentation von Minderheiten ist zweifelsohne die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer pluralen Gesellschaft. Doch der medial vermittelte Schutzraum geht fehl, wenn er durch Nicht-Benennung von Gewalttätigkeit der einen Gesellschaftsgruppe nicht im Stande ist, die andere zu schützen.
Die Ablehnung von Gewalt und Rassismus ist die Grundlage unserer Zivilgesellschaft. Daher muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk über gehäufte Gewalt und Antisemitismus von Muslimen Berichten, wenn diese vorkommen – und zwar ohne Relativierung. Das ist kein Generalverdacht. Davor muss niemand geschützt werden. Und es darf nicht durch Mechanismen des False Balancing kleingeredet werden. Das kann auch die FUNK-Redaktion anerkennen, ohne den Minderheitsschutz insgesamt aufzugeben.
Den Gastbeitrag unserer Mitarbeiterin in der WELT finden sie hier.
[1] Hofmann, Christian P. (2021): Journalismus zwischen politischer Einseitigkeit und Perspektivenvielfalt. In: Ruß-Mohl, Stephan/Hofmann, Christian P. [Hrsg.]: Zerreißproben: Leitmedien, Liberalismus und Liberalität; Köln: Halem.
[2] Leo Braun: „Aus unserer Sicht – und das markiere ich hier ganz klar als Meinung –, nach unserer Meinung von Funk, ist das durch nichts zu rechtfertigen, diese Terrorakte, die da passiert sind. […] Nochmal: das war eine Meinung ganz offensichtlich.“ Podcast vom 14.10.23, Minute 8:16
[3] Leo Braun: „Sie hat das Bild gezeichnet, dass sie zumindest gut behandelt wurde. Dass sie das Essen bekommen hat, was auch Terroristen gegessen haben. Und insgesamt, dass das für die Verhältnisse okaye [sic] Bedingungen waren. Will ich nicht unerwähnt lassen. Ich weiß nicht, ob es irgendeine Bedeutung hat, aber ich fand das irgendwie interessant.“ Podcast vom 27.10.23, Minute 39:00
[4] Leo Braun fragt seinen Interviewpartner, den jüdischen Publizisten Ruben Gerczikow: „Muslime […] fühlen sich unter einen Generalverdacht gestellt. […] Die haben das Gefühl, dann immer so einen Antisemitismusstempel zu bekommen […]. Wies sieht du das?“ Podcast vom 27.10.23, Minute 1:03
[5] Leo Braun fragt seine Interviewpartnerin Rima Hanano, Leiterin der der NGO Claim, Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit: „Glaubst Du, ein pauschales Demonstrationsverbot [gegen Pro-Palästina-Demonstrationen] hat dazu geführt, dass sich die Fronten verhärtet haben?“, Podcast vom 3.11.23, ab Minute 19:10
[6] Leo Braun: „Wir lesen unter unseren Posts von supervielen Menschen, dass sie sich wünschen, dass wir auch über den antimuslimischen Rassismus sprechen. […] Wir wollen natürlich keine Diskriminierungsform gegen die andere aufwiegen […]. Jetzt wollen wir über antimuslimischen Rassismus sprechen“ Podcast vom 3.11.23, Minute 19:50
[7] Rima Hanano: „Es werden rassistische Narrative verstärkt […]. Wir wissen, dass jeder Zweite in Deutschland muslimfeindlichen Aussagen zustimmt. Dies Haltung zeigt sich in Fragen der Migration, wenn 18 Prozent sagen, Muslimen soll die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“ Podcast vom 3.11.23, ab Minute 26:00
[8] Leo Braun: „Der Satz ,Wir haben genug antisemitische Männer im Land‘ mag richtig sein, aber, soweit ich das weiß, geht gerade Antisemitismus in den letzten Jahren sehr stark von Rechtsextremen aus oder rechten Einstellungen. […] Das jetzt auszuspielen als Islamfeindlichkeit – ich weiß nicht, was da jetzt vermittelt werden soll [sic]“ Podcast vom 27.10.23, Minute 7:20
[9] REPUBLIK 21 am 29.6.2023: Jeder Zweite angeblich Muslim-Feind: Falschbehauptung im ZDF, https://www.oerr-denkfabrik-r21.de/post/jeder-zweite-ist-muslim-feind-falschbehauptung-und-%C3%BCbertreibung
[10] REPUBLIK 21 am 21. 9.2023: Mitte-Studie: ÖRR dramatisiert „Rechtsdrift“, https://www.oerr-denkfabrik-r21.de/post/mitte-studie-%C3%B6rr-dramatisiert-rechtsdrift
[11] REPUBLIK 21 am 29.9.2023: Doch keine Rechtsdrift? ÖRR verfehlt Informationsauftrag, https://www.oerr-denkfabrik-r21.de/post/doch-keine-rechtsdrift-%C3%B6rr-verfehlt-informationsauftrag