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Foto: James Zabel/Denkfabrik R21

Interview mit Lukas Köhler

Das nachfolgende Interview ist eine leicht gekürzte Fassung des Gesprächs zwischen R21-Ökonom Nils Hesse und dem stv. Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Lukas Köhler im klimaökonomischen Podcast „Der Preis ist heiß“

NH: Hallo Herr Köhler, Sie sind als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Themenbereiche Wirtschaft, Klima, aber auch Arbeit und Soziales sehr beschäftigt. Viele kleinteilige Gesetze gehen jede Sitzungswoche über Ihren Tisch. Wenn Sie sich davon mal lösen und wir uns auf eine grüne Wiese denken, auf der Lukas Köhler alleine die Klimapolitik in Deutschland bestimmen könnte: Wie sähe Ihr idealer Instrumentenmix aus? Für was sollte der Staat noch zuständig sein?

LK: Das optimale System wäre ein globaler Emissionshandel, der alle Emissionen erfasst, sowohl die ausgestoßenen als auch die negativen. Wir hätten ein CO2-Limit, das sicherstellt, dass wir unsere Klimaziele genau erreichen. Und alles, was darunter liegt, können wir handeln. Wenn wir dieses effiziente System als Grundlage hätten, müssten wir immer noch ein paar Dinge tun, die Unternehmen oder Bürger nicht alleine machen können, zum Beispiel dafür sorgen, dass das Schienennetz, das Straßennetz und das Energienetz gut genug sind. Der Staat sollte zudem internationale Partner finden, die uns mit Wasserstoff oder E -Fuel versorgen und mit denen wir die CO2-Bepreisung so abstimmen, dass kein sogenanntes Carbon Leakage entsteht. Das kann man noch sehr viel weiter und detaillierter ausführen, aber im Prinzip ist das das sinnvollste Klimakonzept. Ein Detail habe ich vergessen: Der Staat sollte sich nicht an den Einnahmen aus dem Emissionshandel bereichern, sondern sie an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben, insofern sie nicht für den Ausbau der Infrastruktur verwendet werden.

NH: Wenn man sich das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung anschaut, dann sind da viele Maßnahmen wie Klimaschutzverträge, Klimalabel, EEG, GEG, Deutschlandticket oder diverse Förderprogramme drin, die auf der grünen Wiese bei Lukas Köhler vermutlich nicht gemacht würden. Können Sie konkret fünf, sechs Instrumente nennen, die überflüssig sind, wenn wir den Emissionshandel ins Zentrum der Klimapolitik stellen?

LK: Außerhalb der grünen Wiese gibt es viele klima- und energiepolitische Eingriffe, die sinnlos sind, weil sie im Rahmen des Emissionshandels einfach nichts bringen. Zunächst würde ich Dinge wie die EU-Flottengrenzwerte oder das viel beschworene Verbrenner-Aus abschaffen. Die Emissionen des Verkehrssektors sind ab 2027 von einem Emissionshandel abgedeckt. 2035 soll das Verbrenner-Aus folgen. Aber das bringt uns überhaupt nichts. Zudem würde ich das sogenannte Effort-Sharing abschaffen, sobald wir in den Bereichen Wärme und Verkehr ein Emissionshandelssystem haben. Und dann gibt es ganz viele kleinteilige Regulierungen, die zum Teil Sinn machen, zum Teil keinen Sinn machen. Sinn macht zum Beispiel im Gebäudeenergiegesetz, dass der Staat erst mal die kommunale Wärmeplanung liefern muss. Erst wenn der Staat hier vorlegt, können Bürgerinnen und Bürger ökonomische Entscheidungen treffen. Unnötig sind hingegen die Grenzwerte beim GEG. So könnten wir jetzt jede einzelne Maßnahme durchgehen, aber das würde jetzt zu weit führen…

NH: Mich interessiert der Punkt der Effort-Sharing-Richtlinie. Die bietet die Möglichkeit, Emissionen zwischen Ländern zu handeln, was in Deutschland teilweise als Strafzahlungen bezeichnet wird. Wenn Sie das jetzt abschaffen wollen, heißt das, dass die nationalen Klimaziele keine Rolle mehr spielen? 

LK: Also im jetzigen System ist das Effort-Sharing bzw. die Lastenverteilung durchaus sinnvoll. Das ist ja keine Strafzahlung, sondern ein ganz normaler Mechanismus. Aber in einem System, in dem wir ein übergeordnetes europäisches Klimaziel haben und der Emissionshandel diese Zielerreichung sicherstellt, braucht man keine nationalen Ziele mehr. Im Gegenteil, dann sind nationale Ziele eher kontraproduktiv, weil sie teure, klimapolitisch sinnlose Maßnahmen nach sich ziehen. Wenn wir ab 2027 oder 2028 einen funktionierenden Emissionshandel haben, können wir das Effort Sharing abschaffen.

NH: …und damit auch nationale Klimaziele?

LK: Genau.

NH: Mit dieser Vorstellung stehen Sie innerhalb der Bundesregierung und der Europäischen Union noch ziemlich alleine da, oder gibt es Mitstreiter, die das ähnlich wie Sie sehen?

LK: Es gibt durchaus viele Klimaökonomen, die das so sehen, wie ich es gerade beschrieben habe. Aber es gibt zwei Denkschulen in der Klimapolitik. Die eine Denkschule sagt, lasst uns ein CO2-Limit einführen, lasst uns einen klaren Deckel drauf machen und darüber darf kein CO2 mehr ausgestoßen werden. Aber lasst den Markt regeln, wo wir wie viel CO2 ausstoßen. Das habe ich eben beschrieben. Das wäre auch das Grundmodell der FDP. Es gibt eine zweite Denkschule, nach der wir staatlicherseits sehr massiv in das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen und der Bürgerinnen und Bürger eingreifen müssen. Die erste Denkschule setzt auf Marktmechanismen und einen übergeordneten Steuerungsmechanismus. Die zweite Denkschule arbeitet mit kleinteiligen Einzelmaßnahmen. In der Demokratie prallen beide Denkschulen aufeinander. Auch in der Bundesregierung. Dort sind wir als FDP mit unseren 11 Prozent ganz gut vertreten und haben in den letzten Jahren vieles im Sinne der ersten Denkschule verändern können.

Wir sind leider nicht auf der grünen Wiese gestartet, sondern wir kommen aus einer Klimapolitik, die ein sehr, sehr strenges Klimaschutzgesetz hatte, das kleinteilige, detaillierte Jahresscheiben und sektorale Ziele für Verkehr, Wärme, Gebäude, Energie und Industrie vorsah. Genau so geht die EU vor. Die EU fährt zweigleisig, weil sie sich nicht entscheiden konnte, was der richtige Weg ist: Emissionshandel oder ganz, ganz, ganz viele andere Maßnahmen. Schade, dass sich die Politik nicht für einen der beiden Wege entschieden hat. 

NH: Ja, das ist das Problem. Erschwerend kommt hinzu, dass die Menschen die beiden Denkschulen gar nicht als solche erkennen, sondern vermischen. Die FDP und auch die Union schaffen es deshalb kaum, sich mit einem eigenen Klimakonzept und einer eigenen Denkschule bei den Wählern durchzusetzen. Die FDP hat sich am klarsten für den Emissionshandel 2021 ausgesprochen, aber sie hat nur wenig dazu gesagt, was wir dann nicht mehr brauchen. Müsste man nicht noch klarer sagen, was man alles abschaffen kann? 

LK: Klar, ich glaube, da muss man die Kommunikation noch deutlich verstärken. Wir haben ja schon im Wahlprogramm einige Dinge benannt, die wir abschaffen wollen, zum Beispiel das Verbrennerverbot. Aber es stimmt schon, das Problem ist, dass es in Deutschland fast keine Diskussion darüber gab, dass es zwei Denkschulen gibt, sondern es gab eigentlich nur diese eine Denkschule. Und der Emissionshandel war immer so ein kleines Stiefkind irgendwo am Rande, das ein paar Ökonomen spannend fanden. Mit CCS war es übrigens ähnlich. Erst seit wir so massiv für das Grundlageninstrument Emissionshandel kämpfen, kommt überhaupt eine Debatte in Gang. Aber Sie haben Recht, wir müssen noch mehr kommunizieren. Wir müssen das System noch mehr erklären, übrigens auch gegenüber Journalistinnen und Journalisten, die oft nicht wissen, dass es zwei Modelle gibt. Je nachdem, wie man seine Prämissen wählt, ob man liberaler ist oder eben mehr an den Staat glaubt, kann man sich für das eine oder das andere entscheiden.

NH: Sie haben kürzlich auf Twitter geschrieben, dass Sie bei den Verhandlungen zum Solarpaket von einzelnen Unternehmen unter Druck gesetzt wurden. Wurden Sie schon einmal von Befürwortern des Emissionshandels in ähnlicher Weise unter Druck gesetzt?

LK: Abgesehen von einigen Ökonomen gibt es nur wenige Interessengruppen, die sich ausschließlich für den Emissionshandel einsetzen. Die meisten Interessenvertreter, die in Berlin unterwegs sind, vertreten eher die staatszentrierte Denkschule. Wo es viele einzelne Subventionen gibt, gibt es auch viele Unternehmen, die davon profitieren können. Manche Unternehmen sagen nicht zu Unrecht: Hey Leute, ihr macht uns krasse Vorschriften, dann brauchen wir an anderer Stelle auch Unterstützung von euch. Doch manche Unternehmen sind dabei „sehr massiv“ in ihrem Einsatz. Bei der Diskussion um das Solarpaket waren diese Unternehmen ganz mit vorne mit dabei. Daher bin ich sehr froh, dass wir da standhaft geblieben sind.

NH: Wenn wir an die nächste Legislaturperiode denken, wird es wahrscheinlich wieder mindestens einen Koalitionspartner aus dem linken Spektrum geben. Wenn Sie die beiden Koalitionspartner Grüne und SPD vergleichen: Wo ist das Verständnis für den Emissionshandel größer und mit welchem Partner ist eine Umsetzung der marktwirtschaftlichen Denkschule eher möglich?

LK: Gute Frage. Also, es gibt sowohl in der SPD als auch bei den Grünen durchaus Leute, die dem Konzept Emissionshandel nicht abgeneigt sind. Aber beide Parteien haben ein anderes Staatsverständnis bzw. ein anderes Verständnis, wie Staat und Individuum miteinander zusammenspielen sollten. Beide sind eher davon überzeugt, dass der Emissionshandel ein Teil des Instrumentenmixes ist und nicht die Grundlage, auf der man dann den Rest organisiert. Deswegen fürchte ich, dass man weder mit den Grünen noch mit der SPD dieses grundlegende Denken hinbekommt. 

NH: Wenn wir wirklich diese eigenständige bürgerliche, marktwirtschaftliche Klimaerzählung wollen, dann hat der Emissionshandel gegenüber der CO2-Steuer tatsächlich wesentliche Vorteile. Denn der Emissionshandel erreicht das vorgegebene Mengenziel. Die CO2-Steuer hingegen lässt Raum für weitere regulative Maßnahmen.

LK: Hinzu kommt: Wenn der Staat den Preis festlegt, wird er zum Spielball der Politik. Das sieht man an der Mindestlohn-Debatte und das gleiche passiert bei einer CO2 -Bepreisung über eine Steuer. Der Staat spielt am Preis, sobald der öffentliche Druck steigt. Das haben wir bei der Gas- und Strompreisbremse gesehen. 

NH: Umso wichtiger ist, dass der ETS 2 als echter Emissionshandel tatsächlich kommt. Fürchten Sie, dass der jetzt beschlossene Handel wieder aufgeweicht und bis zur Unkenntlichkeit verändert wird?

LK: Das Modell ist beschlossen, auch wenn ein paar Details noch offen sind. An diesen Details wird noch rumgespielt. Aber die Grundbeschlüsse zum ETS II stehen aus meiner Sicht. Denn die Alternativen wie die EU-Gebäuderichtlinie sind mindestens genauso unbeliebt. Der ETS II kommt jetzt und soll in den 30ern mit dem ETS I zu einem Emissionshandel verschmelzen. Das unterstützten wir als FDP. 

NH: Wenn das klappt, haben wir zumindest für die EU eine gute Lösung. Doch das Klimaproblem bleibt ein globales Problem. Die EU wird es nicht alleine lösen können. Doch in Foren wie dem Klima Club steht der Emissionshandel bislang nicht im Fokus. Liegt das auch daran, dass die FDP keines der klimadiplomatischen Ämter und Ministerien AA, BMWK, BK oder BMZ in der eigenen Hand hat?

LK: Die FDP braucht natürlich mehr Prozente und damit mehr Ministerien, um mehr Einfluss nehmen zu können. Aber die Bundesregierung handelt ja nicht unabgestimmt. Zudem verhandelt auf internationalem Parkett die Europäische Union. Das halte ich grundsätzlich für gut. Nur würde ich mir wünschen, dass wir sowohl in Deutschland als auch in Europa klimadiplomatisch stärker unsere eigenen Interessen verfolgen, so wie dies die USA und China auch tun. Oft nehmen wir in Europa nur eine Vermittlerrolle ein und vergessen unsere eigenen Interessen. So ist es in unserem Interesse, das Thema CO2-Bepreisung im Klimaclub oder bei G7 und G20 weiter auf der Agenda zu halten. Hier gibt es weltweit ganz viele unterschiedliche Modelle. Die Debatte, diese Modelle zu verbinden, läuft gerade. Ich habe aber keine Glaskugel um vorherzusagen, wie diese Debatte ausgehen wird. 

NH: Auch wenn Sie keine Glaskugel haben, was ist Ihr Tipp, bis wann wir einen global einheitlichen Emissionshandel bekommen, der 70 bis 80 Prozent der weltweiten Emissionen abdeckt?

LK: Ich vermute, dass wir Anfang der2050er Jahre ein international abgestimmtes, koordiniertes Bepreisungssystem sehen werden. Warum? Der IPCC-Sonderbericht sagt sehr deutlich, dass wir Mitte des Jahrhunderts CO2 -neutral und Ende des Jahrhunderts klimaneutral sein müssen, um in der Nähe des 1,5-Grad-Ziels zu landen. Dazu brauchen wir Negativemissionen und ernsthafte CO2 -Reduktionen auch in Ländern des globalen Südens. Spätestens dann, wenn in den Industriestaaten CO2-Vermeidung nur noch super teuer zu erreichen ist, wird sich ein Fenster für ein übergeordnetes globales CO2-Bepreisungssystem öffnen. 

NH: Schön, dass wir mit einem positiven Ausblick enden. Haben Sie noch eine Botschaft an alle, die sich für den Emissionshandel und einen marktwirtschaftlichen Neustart in der Klimapolitik einsetzen?

LK: Wichtig ist, etwa im Freundes- und Bekanntenkreis über die zwei Denkschulen und ihre Vor- und Nachteile zu sprechen und neben den ganzen Detailfragen auch auf der Metaebene zu diskutieren, wie wir Klimapolitik betreiben wollen. Das hilft tatsächlich. Und das Zweite ist, sich nicht von Scheindebatten blenden zu lassen. Ein Beispiel: Wir als Freie Demokraten setzen uns massiv für Technologieoffenheit ein. Die andere Denkschule wirft uns daraufhin immer vor, wir wollten nur die Probleme in die Zukunft verschieben. Doch wir sagen ja Technologieoffenheit immer in Verbindung mit dem Emissionshandel, der dafür sorgt, dass wir unsere Klimaziele erreichen, das aber so kostengünstig wie möglich. Ein ähnliches Scheinargument ist, dass der Emissionshandel Kosten verursacht, nicht aber das Ordnungsrecht. Eine absolute Fehlbotschaft. Es ist völlig absurd zu glauben, dass nur der Emissionshandel für steigende Kosten sorgt. Jede ordnungspolitische Maßnahme, jedes Ordnungsrecht, jedes Verbot, jede Regulierung sorgt für Kosten, die nur nicht so transparent sind wie beim Emissionshandel. Beim Emissionshandel sind die Kosten aber deutlich geringer und sie können wieder an die Bürger und Unternehmen zurückgegeben werden. 

NH: Ein Verbot ist letztlich nichts anderes als ein unendlich hoher Preis. Wieder zeigt sich: Der Preis ist heiß. Ich hoffe, Sie können, wenn die Ampel noch solange hält, das verbleibende Jahr für konkrete Fortschritte im Sinne der Denkschule des Emissionshandels nutzen. Vielen Dank.

LK: Ich danke.

Nils Hesse

Nils Hesse berät und unterstützt die Denkfabrik R21 in Fragen der Ordnungspolitik und der Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft. Er hat Abschlüsse in VWL, BWL, Social Science und Politikwissenschaften und an der Uni Freiburg / Abteilung für Wirtschaftspolitik promoviert. Nils Hesse hat unter anderem als Redenschreiber im Bundeswirtschaftsministerium, Referent beim BDI, Wirtschaftspolitischer Grundsatzreferent im Kanzleramt, Journalist, Economic Analyst bei der EU-Kommission, Lehrbeauftragter und Fraktionsreferent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gearbeitet. Derzeit arbeitet er an einer Habilitationsschrift zum Thema „Ordoliberalismus und Populismus“.

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