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Man merkt gar nicht, dass man “umstritten” ist

Die Ethnologin und R21-Gründerin Susanne Schröter spricht im Interview über den Weg in die Umstrittenheit und wie uns in Deutschland mit der Wissenschaftsfreiheit auch die Freiheit in anderen Bereichen abhanden kommt. 

Frau Schröter, Sie gelten als umstritten. Wie kommt man an so ein zweifelhaftes Prädikat?

Es geschieht zunächst, ohne dass man es bemerkt. Ich habe das lange Zeit nicht realisiert. Der wichtigste Grund für diese Abwertung meiner Person lag in meinem Forschungsgebiet, dem Islamismus. Im Rahmen meiner Professur in Passau hatte ich mich mit den insularen Staaten in Südostasien befasst. Mit Indonesien, dem bevölkerungsreichsten muslimisch geprägten Land, aber auch mit Malaysia, Brunei und den islamisch geprägten Gebieten Thailands und der Philippinen.

Ist der Islam dort nicht sehr liberal?

Er war es. Im Rahmen meiner Beschäftigung mit dem Islam in diesen Regionen konnte ich allerdings zeigen, wie sich der dort gelebte Islam veränderte, fundamentalistischer und auch gewalttätiger wurde. Diese Entwicklung wurde durch Akteure aus dem arabischen Raum ausgelöst, die mit sehr viel Geld interveniert haben. Es wurden Moscheen und Kultureinrichtungen mit islamistischer Orientierung gefördert, und es wurden Stipendien an junge Leute aus Südostasien vergeben, um an arabischen Universitäten zu studieren, insbesondere in Saudi Arabien, aber auch in Ägypten und in anderen arabischen Staaten.

Dort kamen diese Studenten mit einem Islam in Kontakt, der sich fundamental von dem unterschied, den sie von ihren Eltern und von ihrer Familie kannten. Der moderate, wenig regeltreue Islam ihrer Kindheit ist ihnen an ihren Studienorten ausgetrieben worden. Sie wurden mit einer typisch fundamentalistischen Haltung konfrontiert, die besagt, dass nur diejenigen wahre Muslime sind, die sich an Normen halten, die man aus dem Koran oder aus dem Leben des Propheten Mohammed ableiten kann.

Was war an dieser Feststellung falsch?

Im Koran reflektiert die Normen des 7. Jh. Er schreibt die Unterdrückung von Frauen fest, es wird zur Tötung sogenannter „Ungläubiger“ aufgerufen und es gibt explizit antijüdische Passagen. Mohammed selbst war in der zweiten Hälfte seines Lebens ein Kriegsherr, der die jüdischen Stämme aus Medina vertreiben ließ und Machtpolitik betrieb, die religiös legitimiert wurde.

Im Verlauf der islamischen Geschichte haben sich auch moderate und tolerante muslimische Ideen und Lebensformen herausgebildet, die jedoch von Fundamentalisten abgelehnt wurden. Diejenigen, die seit 20. Jh. zurück zum Koran und den Lehren Mohammeds wollen, meinen vor allem den Wertekanon des 7. Jahrhunderts und zielten auf die Abschaffung der Menschenrechte. Heute trennen wir deshalb zwischen dem Islam, einer heterogenen Weltreligion, und dem Islamismus, einer undemokratischen, intoleranten und antiemanzipatorischen Strömung, die in Teilen gewalttätig und beispielsweise für Attentate verantwortlich ist.

Viele meiner Kollegen haben den aufstrebenden Islamismus als neue Form der Frömmigkeit verharmlost, doch ich fokussierte auch auf die Gefahr, die von ihm ausging. Das brachte mir den Verdacht ein, ich könnte vielleicht nicht ganz auf Linie sein.

Sie gingen dann nach Frankfurt?

Ja, und dadurch war ich regional nicht mehr auf Südostasien beschränkt und konnte mit meinem Team die islamische Welt als Ganzes vergleichen. Und ein großes Thema war auch da immer wieder der Islamismus, der ja durch Migration auch in Europa zunehmend an Bedeutung gewinnt. 2011 habe ich begonnen, auch in Deutschland zu forschen. Gleichzeitig haben wir an der Uni liberale Muslime für Vorträge eingeladen, um ihre Vorstellungen zu präsentieren.

Wo genau verlaufen denn die Konfliktlinien, da uns doch der liberale Islam vielleicht deutlich näherstehen sollte?

Liberale Muslime sind nur selten organisiert, aber die Politik und die Kirchen sowie die Nichtregierungsorganisationen suchen nach mitgliederstarken Vertretungsorganisationen wie sie in christlichen Religionen die Kirchen darstellen. Sie haben gewissermaßen eine „Kirchenbrille“ auf. Der Islam ist allerdings vollkommen anders verfasst. Organisiert sind vorwiegend die Islamisten, und vor allem diejenigen, die aus dem Ausland ausgestattet und finanziert werden. Ich kritisiere Kooperationen mit solchen Vereinigungen, was mir natürlich keine großen Sympathien bei denjenigen eingebracht hat, die mit Islamisten zusammenarbeiten.

Islamismus ist antidemokratisch, intolerant und frauenfeindlich. Er verbindet sich häufig zudem mit den extrem patriarchalischen Kulturen der Ehre, die Frauen durch Androhung sexueller Gewalt aus dem öffentlichen Raum vertreiben. Wir haben diese organisierten Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln erlebt. Ich habe mich damals in den Medien dazu geäußert und einen Zusammenhang zu den Heimatkulturen der Täter hergestellt und dabei auch muslimische Frauenrechtlerinnen zitiert, die seit Jahrzehnten dagegen ankämpfen.

Was waren die Folgen?

Das war mein ultimativer Sündenfall. Ich hatte an ein Tabu gerührt und Missstände der Migrationspolitik öffentlich gemacht. So etwas wird von woken Wissenschaftlern nicht geduldet. Meine Kolleginnen mobilisierten massiv auf der digitalen Hintertreppe gegen mich. Mir sind damals E-Mail-Korrespondenzen weitergeleitet worden bei denen ich aus allen Wolken gefallen bin.

Es ist natürlich eine Sache, umstritten zu sein. Doch Wissenschaft lebt vom Streit leben. Man stellt aber fest, dass es ausgerechnet an Universitäten Sprechverbote gibt. Wir leben  in einem freiheitlichen Staat. Wie ist das überhaupt möglich, dass sich solche Sprechverbote in einem solchen Maße etablieren können?

Das ist nicht einfach zu verstehen. In internationalen Rankings bekommt Deutschland Bestnoten, wenn es um Wissenschaftsfreiheit geht, weil es keine Eingriffe des Staates gibt. In autoritären Staaten greift der Staat massiv in die Wissenschaft ein, bei uns kommt die Einschränkung aus dem System selbst und wird von woken Akteuren vorangetrieben. Diese sind der Ansicht, nur sie vertreten eine akzeptable Weltsicht, während andere zwangsläufig rassistisch oder menschenfeindlich seien. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die sogenannte postkoloniale Theorie, der zufolge der europäische Kolonialismus der ultimative Sündenfall in der Geschichte der Menschheit sei. Vorher sei alles mehr oder weniger gerecht und human zugegangen. Die Europäer werden als die personifizierten Teufel gezeichnet, die den Rest der Welt unterdrückt und ausgebeutet haben und dies noch immer tun. Die blutigen Expansionen und Unterdrückungssysteme anderer Reiche werden vollkommen ausgeblendet.

Die postkoloniale Theorie, die an den Universitäten sehr populär ist, behauptet, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft strukturell rassistisch sei, weil Weiße sich nicht von ihrem kolonialen Denken lösen können.

Also sind wir alle Täter?

In der Tat wird die Welt sehr schlicht in eine Täter- und in eine Opferseite unterteilt. Täter ist der weiße Westen, alle anderen sind Opfer. In einer Migrationsgesellschaft kommen jetzt die Opfer in das Land der Täter und die angenommenen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse setzen sich angeblich im Westen fort.

Die postkoloniale Theorie, die an den Universitäten sehr populär ist, behauptet, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft strukturell rassistisch sei, weil Weiße sich nicht von ihrem kolonialen Denken lösen können. Sie müssten deshalb gezwungen werden, ihre vermeintlichen Privilegien abzugeben. Konkret bedeutet das beispielsweise die Besetzung von Führungspositionen anhand äußerer Merkmale, wobei nichtweiße Hautfarbe, Migrationshintergrund, Geschlecht, sexuelle Orientierung und bei Muslimen auch die Religion wichtiger sind als Kompetenzen und Qualifikationen.

Wer nicht als Rassist denunziert werden will, sollte sich außerdem hüten, über Schattenseiten der Migration zu sprechen oder zu forschen. Dazu gehören Islamismus, Parallelgesellschaften, sexuelle Übergriffe oder patriarchalische Strukturen in migrantischen Communities. Es empfiehlt sich weiterhin, stets im Sinner der vermeintlichen Opfer zu agieren und sich als Unterstützer anzubieten.

Welche Folgen ergeben sich für den Wissenschaftsbetrieb daraus? Das klingt mehr nach Aktivismus als nach Wissenschaft.

Die Grenze zwischen Wissenschaft und Aktivismus verschwimmt zunehmend. Das ist gewollt. Wissenschaft wird als etwas Politisches begriffen und soll im Dienste der Veränderung von Gesellschaft stehen. Die eigenen Ideen, wie diese Veränderungen aussehen sollen, werden mit einem absoluten und alternativlosen Wahrheitsanspruch präsentiert.

Wer das in Zweifel zieht, gilt automatisch als rassistisch, als sexistisch oder wird mit einem anderen Attribut bezeichnet, das extrem stigmatisierend gemeint ist.

Alle benutzten Attribute gelten als rechts im Sinne von rechtsradikal. Beabsichtigt ist die ultimative Beschädigung von Wissenschaftlern, die den woken Dogmen nicht zustimmen, indem man diese als rechts labelt.

Wer rechts ist, ist draußen?

Ich habe das selbst erlebt und in meinem Buch geschildert, weil immer wieder behauptet wird, das gebe es doch gar nicht.

Da stellt sich die Frage, ob das ein überwiegendes Problem der Geisteswissenschaften oder der Kulturwissenschaften ist. Ich kann mir ehrlich gesagt keinen woken Ingenieur vorstellen.

Ich glaube auch, dass die Ingenieurwissenschaften noch eine sichere Zone sind. Aber ich bin überrascht, dass mittlerweile auch die Naturwissenschaften betroffen sind und sogar die Medizin. Nehmen Sie die Debatte um biologische und soziale Geschlechtlichkeit. Wer behauptet es gebe nur zwei biologische Geschlechter, wird als rechts denunziert.

Sie sprechen in dem Zusammenhang tatsächlich von einem Kulturkampf. Wie würden Sie als Ethnologin, die sich auch mit Kulturen beschäftigt, Kulturkampf definieren?

Ich definiere Kulturkampf als Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Vorstellungen von Kultur und Gesellschaft. Jede Gesellschaft folgt bestimmten kulturellen Mustern, die im Detail durchaus eine große Bandbreite aufweisen. So lange es verbindliche Gemeinsamkeiten gibt, ist Diversität daher kein Problem, sondern eine Bereicherung. Jede Gesellschaft verändert sich zudem. Ganz naturwüchsig, sozusagen bottom-up. Diese normalen Veränderungen unterscheiden sich vom dem, was gerade von Seiten der woken Linken ausgeht. Hier wird eine neue Kultur in den Universitäten am Reißbrett entwickelt und der Gesellschaft, ja sogar der Wirtschaft mit Zwangsmaßnahmen aufgenötigt. Die vorhandene Kultur wird abgewertet und als rassistisch delegitimiert. Das verstehe ich unter dem Begriff Kulturkampf.

Die Vorhaben der woken Linken erinnern stark an kommunistische Experimente der Erschaffung eines „neuen Menschen“ aus dem 20. Jh., die dann die kommunistische Idee umsetzen sollten. Wer nicht einverstanden war, wurde mit maximaler Repression verfolgt. So weit ist es natürlich bei uns nicht, wir leben in einer gefestigten Demokratie, aber es existieren durchaus Ansätze, die in eine beunruhigende Richtung gehen, gerade wenn wir sehen, dass politische Parteien wie die SPD oder die Grünen undemokratische Maßnahmen im Namen des „Kampfes gegen rechts“ fordern.

Also gehen uns auch dort Freiheiten verloren?

Da sehe ich letztendlich die größte Gefahr. Es fängt an bei der Wissenschaftsfreiheit an und endet bei anderen Freiheiten.

Eine liberale Demokratie kann nicht per se für die Voraussetzungen garantieren, die ihr Überleben sichert. Es besteht immer ein Restrisiko. Doch ist eines gewiss: jegliche Einschränkung der Freiheitsrechte verhindert letztendlich, dass eine Demokratie, die auf Abwege gerät, sich wieder selbst repariert.

Werfen wir einmal einen Blick auf die islamische Community in unserem Land. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Integration gelingt zunehmend schlechter.

Wenn ein Kind das einzige türkische oder muslimische Kind in einer Schule ist, wie das vor einigen Jahren noch war, dann integriert Integration natürlich schneller. Heute sind ganze Stadtviertel migrantisch geprägt. Das heißt, Neuzuwanderer müssen sich nicht unbedingt integrieren. Sie können sich ohne Deutschkenntnisse zurecht finden, zum Arzt gehen, einkaufen oder eine Wohnung mieten. Es gibt Friseure, Handwerker, Ärzte und Rechtsanwälte, die die eigene Sprache sprechen, sodass der Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft auf ein Minimum beschränkt sein kann. Diese Segregation, diese räumliche Segregation und die kulturelle Segregation zusammengenommen sind natürlich ein starkes Hindernis für jede Art der Integration und damit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Kommt dann noch die Vorstellung hinzu, die durchaus viele Muslime teilen, dass die eigene Kultur und Religion der einheimischen Kultur überlegen ist, dann möchte man sich eigentlich auch gar nicht integrieren. Man hält sich für die beste aller Gemeinschaften, glaubt dass Gott hinter einem steht und lehnt die deutsche Gesellschaft als moralisch minderwertig ab. Von dieser Basis aus stellt man Forderungen nach priorisierter Anerkennung der eigenen Bräuche und Traditionen, verlangt beispielsweise, dass in Kitas und Schulen kein Schweinefleisch mehr angeboten wird, dass Sport- und Schwimmunterricht geschlechtergetrennt werden oder dass Prüfungen während des Ramadans zu unterbleiben haben. Woke Linke sind gerne bereit, diese Forderungen zu unterstützen oder sogar vorauseilend entsprechende Signale zu setzen, wie wir gerade anlässlich der staatlich finanzierten Ramadan-Beleuchtungen in Frankfurt sehen können.

Zum Abschluss eine provokative Frage: Führt Wokismus zu Antisemitismus. Auf der Berlinale sahen wir zugleich Anti-AfD-Schmuck und hörten Hassparolen gegen Israel. Wie passt das zusammen?

Das ist schlicht und ergreifend die direkte Folge der sogenannten postkolonialen Theorie. Auf der einen Seite sieht man einen weißen Westen und auf der anderen Seite den nichtweißen Rest der Welt. Israel wird zum weißen Westen gerechnet, obwohl die Bevölkerung sehr divers ist. Der jüdische Staat gilt als Bollwerk des westlichen Imperialismus im arabischen Raum und wird auch deshalb abgelehnt. Auf dieser Grundlage werden Allianzen zwischen Islamisten und woken Linken möglich und ein neuer Antisemitismus ist die Folge.

Die Fragen stellte unser Newsletterredakteur Peter Winnemöller.

Adrian

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